Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Entziehung der Versorgungsleistungen wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Wach- und Rampendienst im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau
Orientierungssatz
Zum Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch die Verrichtung von Wachdienst und Rampendienst im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von Oktober 1942 bis Januar 1945.
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der Versorgungsleistungen gemäß § 1a Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit während der Herrschaft des Nationalsozialismus.
Der in B. (früher: Jugoslawien, heute: Kroatien) geborene Kläger absolvierte nach dem Schulabschluss im Hinblick auf die angestrebte Ausbildung zum Architekten eine Maurerlehre. 1942 wurde er in Wien zur Waffen-SS eingezogen und dem SS-Totenkopf-Sturmbann (Wachsturmbann) zugewiesen. Diese Einheit hatte die Aufgabe, das in Auschwitz-Birkenau eingerichtete Konzentrationslager (KL) zu bewachen. In Auschwitz durchlief der Kläger zunächst eine sechs Monate dauernde Infanterieausbildung; anschließend versah er den Wachdienst. Er wurde bei Nacht in der so genannten kleinen und am Tage in der großen Postenkette eingesetzt. Dieser Wachdienst wurde von den Wachtürmen aus versehen. Zeitweise führte und bewachte der Kläger auch kleinere Arbeitstrupps im Nahbereich des Lagers Birkenau. Bevor das Lager Birkenau ausgebaut war, wurde er auch mehrmals zum so genannten Rampendienst eingesetzt. Juden aus allen von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten wurden in Eisenbahnzügen nach Auschwitz gebracht. Die Züge hielten auf dem Rollfeld in der Nähe des Stammlagers. Dort ließ man die Menschen auf eine eigens für diesen Zweck gebaute 500 m lange Holzrampe, die im Jahre 1943 durch eine Betonrampe ersetzt wurde, aussteigen. Beim Rampendienst handelte es sich um eine bewaffnete Kompanie des Wachsturmbanns, welche vor dem Eintreffen der Eisenbahnwagen oder, falls der Zug bereits an der Rampe stand, vor dem Aussteigen der in den Waggons befindlichen Menschen, einen Ring bilden musste, um Fluchtversuche der Ankommenden nach dem Aussteigen zu verhindern. Diese Postenkette entfiel ab 1944, als die Transporte auf einer neuen, innerhalb der Lagerumzäunung befindlichen Rampe ankamen.
Von April bis Oktober 1943 war der Kläger als Mitglied des Wachsturmbanns in dem etwa 20 km vom Lager Birkenau entfernten Waldlager Kobier eingesetzt. In diesem Lager waren etwa 30 bis 40 Häftlinge tätig; anschließend kam er wieder in Auschwitz zum Einsatz. Sein Dienst in Auschwitz endete mit der Räumung des KL im Januar 1945. Zum Zeitpunkt der Räumung des KL befand sich der Kläger allerdings auf einem Kuraufenthalt, aus dem er erst ein paar Tage nach der Räumung zurückkam. Er wurde dann von Auschwitz aus an die Front versetzt und 1945 beim Kampf um Breslau verwundet. Als SS-Rottenführer geriet er in Halle in amerikanische Kriegsgefangenschaft. 1947 wurde er an Polen ausgeliefert und dort zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1952 zog er zu seinen in K. lebenden Eltern, nahm ein Hochbau- Studium auf und arbeitete anschließend als Architekt beim in K. Inzwischen ist er pensioniert. Im Januar 2004 bezog er eine monatliche Pension in Höhe von 2.400,- € netto. Außerdem verfügte er zum damaligen Zeitpunkt über Mieteinnahmen von ungefähr 400,- € monatlich. Seine Ehefrau erhält keine Rentenleistungen.
Als Schädigungsfolgen nach dem BVG wurden vom Beklagten zunächst mit Bescheid vom 18.11.1952 “Restfolgen nach Unterernährung, Verlust des rechten Auges" mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. ab 01.09.1952 anerkannt, ab 01.2.1955 betrug die MdE für die Schädigungsfolgen “Verlust des rechten Auges, reizlose Splitternarben rechte Stirn, rechter Oberarm und linker Unterbauch" 30 v.H. (Bescheid vom 10.12.1954).
Im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ( ) wegen des Verdachts des Mordes wurde der Kläger am 15.06.1977 vom Hessischen Landeskriminalamt als Beschuldigter vernommen; hinsichtlich seiner damals gemachten Angaben wird auf das vom Kläger handschriftlich unterzeichnete Vernehmungsprotokoll (Bl. 33/38 der § 1 a Akten des Beklagten) verwiesen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main stellte das Verfahren mit Beschluss vom 21.04.1982 (Bl. 39/58) ein.
Bei einem nach In-Kraft-Treten von § 1a BVG (am 28.01.1998) durchgeführten Datenabgleich mit der Ludwigsburger Zentralen Stelle wurde das Versorgungsamt Freiburg auf das u.a. auch gegen den Kläger geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren .JS./62aufmerksam. Es zog die bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt vorhandenen Akten bei und leitete ein Überprüfungsverfahren nach § 1a BVG ein. Mit Schreiben vom 21.09.1999 teilte dann das für den Wohnsitz des Klägers zuständige Vers...