Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeversicherung. häusliche Pflege. Härtefall. Erbkrankheit
Orientierungssatz
Zum Vorliegen eines Härtefalls iS von § 36 Abs 4 SGB 11 bei einem Pflegebedürftigen, der an einer Friedreich'schen Ataxie leidet.
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger im Rahmen der Härtefallregelung gemäß § 36 Abs. 4 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) weitere Pflegesachleistungen bis zu einem Gesamtwert von DM 3.750,-- monatlich beanspruchen kann.
Der ... 1945 geborene Kläger, der bei der Beklagten pflegeversichert ist, leidet an einer Friedreich'schen Ataxie. Er bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente von ca. DM 1.100,-- und eine Betriebsrente von der Firma B von ca. DM 100,-- im Monat. Er wohnt zusammen mit seiner Mutter im Erdgeschoß des dieser gehörenden Hauses. Im ebenfalls vier Zimmer umfassenden Obergeschoß lebt seine 1954 geborene Schwester, die ebenfalls an der Friedreich'schen Ataxie erkrankt ist und bei der ebenso wie beim Kläger Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe III festgestellt ist. Beide beziehen Pflegesachleistungen. Der Kläger und seiner Schwester werden von ihrer 78 Jahre alten Mutter Rosa P versorgt, der der Kläger notariell Generalvollmacht erteilt hat. Im Haus ist ein vom Sozialamt mit einem zinslosen Kredit von DM 60.000,-- finanzierter Aufzug eingebaut. Der Kredit wird noch abbezahlt. Für den Kläger werden Pflegesachleistungen bis DM 2.800,-- im Monat bezogen, die im wesentlichen von der Ökumenischen Sozialstation in H erbracht werden. Darüber hinaus werden die Pflegeleistungen für den Kläger sowie seine Schwester von ihrer Mutter erbracht.
Der Kläger kann sich nicht selbst versorgen, er ist rollstuhlbedürftig und an Oberkörper, Bauch und zweifach an den Beinen dort festgebunden. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände hat sich weiter verschlechtert. Er kann von seiner Mutter nur mit Hilfe eines Lifters vom Rollstuhl ins Bett oder vom Bett in den Rollstuhl bewegt werden. Sein Hör- und Sprechvermögen hat sich zunehmend verschlechtert. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt.
Unter Vorlage des Arztbriefes des Dr. L vom 25. Mai 1998 an die Hausärztin Sch beantragte der Kläger Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von DM 3.750,-- monatlich unter Härtegesichtspunkten gemäß § 36 Abs. 4 SGB XI. Hierauf wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten von der Ärztin H vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) H am 16. November 1998 in seiner häuslichen Umgebung untersucht. Diese kam in ihrem Gutachten vom 17. November 1998 zu dem Ergebnis, daß im Bereich der Grundpflege ein täglicher Pflegebedarf von 323 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft ein solcher von 770 Minuten in der Woche bestehe. Es liege jedoch kein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vor. Die Grundpflege erfolge durch die Sozialstation einmal täglich. Nachts werde zweimal die Urinflasche angelegt. Eine Umlagerung sei nicht erforderlich. Die Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls seien nicht gegeben, da jeweils bei der Grundpflege nur eine Pflegeperson und nachts maximal eine Pflegezeit von zehn bis zwölf Minuten erforderlich sei.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. November 1998 die Anerkennung eines Härtefalls ab. Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuß I wies den hiergegen mit der Begründung erhobenen Widerspruch, die Pflege dauere von morgens 07.00 bis nachts 24.00 Uhr, mit Bescheid vom 10. März 1999 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben und zur Begründung ausgeführt, seine Mutter werde nahezu 24 Stunden pro Tag von ihm und seiner Schwester beansprucht. Nach dem Waschen müsse er mit Hilfe des Lifters getrocknet und dann eingerieben werden, damit Dekubitusgeschwüre vermieden würden. Der Vorgang des Waschens bis zum Liegen brauche am Abend etwa eine Stunde. Er müsse, nachdem seine Schwester durch seine Mutter versorgt worden sei, von dieser nach 22.00 Uhr mit dem Lifter nochmals aus dem Bett gehoben werden, damit sein Rücken abkühle. Es müßten Schienen an den Füßen befestigt und es müsse ihm die Urinflasche gegeben werden, was sich während der Nacht mehrfach wiederhole.
Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten und Hinweis auf das Gutachten der Ärztin H entgegen.
Das SG hat die Mutter des Klägers zur Pflegesituation eingehend angehört und mit Urteil vom 22. September 1999, das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 11. Oktober 1999 zugestellt wurde, der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen der Härtefallklausel nach § 36 Abs. 4 SGB XI seien im Fall des Klägers erfüllt. Es liege ein besonders gelagerter Einzelfall vor. Das Gesetz definiere nicht, was unter außerordentlich hohem Pflegeaufwand zu verstehen sei. Zwar gäben die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Anwendung der Härtefallregelungen (Härtefall-Richtlinien -- HRi...