Entscheidungsstichwort (Thema)
rechtswidriger ergangener Verwaltungsakt. Ermessensentscheidung. sozialgerichtliches Verfahren. Witwenrente. Rücknahme. Ermessen. Widerspruchsbescheid. Anhörung. Beiladung
Leitsatz (redaktionell)
Steht ein Verwaltungsakt im Ermessen der Behörde (hier: Rücknahme der Bewilligung einer Witwenrente), ist der Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn zwar die Ausgangsbehörde, nicht aber die Widerspruchsbehörde Ermessen ausübt.
Orientierungssatz
Zur Aufhebung eines Bescheides über die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Rentenbewilligung auf Anfechtungsklage hin wegen Ermessensnichtgebrauch.
Normenkette
SGB X § 45; SGG § 78 Abs. 1 S. 1, § 95; SGB VI § 91
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.03.2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, eine zu Unrecht erfolgte Rentenbewilligung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die 1941 geborene Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des 1930 geborenen und am .06.2008 verstorbenen W. S. (im Folgenden: Versicherter), der in zweiter Ehe wiederverheiratet war. Am 25.08.2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Sie legte die anlässlich der Ehescheidung am 18.06.1975 geschlossenen Unterhaltsvereinbarung vor, verneinte aber eine Unterhaltszahlung während des letzten Jahres vor dem Tod des Versicherten und bejahte den Erhalt einer “Unterhaltsabfindung oder Unterhaltsvorauszahlung„ in Höhe von 25.000,-- DM ca. 1998. Als eigene Einkünfte gab sie Rentenzahlungen in Höhe von 600,-- € (gesetzliche Rentenversicherung) und 580,-- € (ZVK-Rente) an.
Mit Bescheid vom 08.10.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 01.09.2008 in Höhe von 399,27 € netto.
Auf die zuvor an die zweite Ehefrau des Versicherten gerichtete Mitteilung der Beklagten, die Klägerin habe Hinterbliebenenrente beantragt, äußerte diese nunmehr Zweifel an der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Geschiedenenwitwenrente . Daraufhin nahm die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 07.11.2008 den Bescheid vom 08.10.2008 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.12.2008 gemäß § 45 SGB X zurück. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Todes des geschiedenen Ehepartners ein eigenes Einkommen von monatlich 1.180,-- € gehabt, weshalb ihr Unterhalt bereits auf Grund dieser Einkünfte gedeckt gewesen sei. Die Rücknahme des Bescheids für die Zukunft sei zulässig, weil sie sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen könne und auch die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sie sich nicht berufen, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe und ihr Vertrauen in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei. Auch im Wege des Ermessens werde die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt erachtet, weil die nach Aktenlage erkennbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eine Rücknahme des Bescheids zuließen. Dies folge auch aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Verpflichtung zur zweckentsprechenden Verwendung der Mittel. Hierdurch solle erreicht werden, dass keine Leistungen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erbracht werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 wurde der Widerspruch unter Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen des § 243 Abs. 6 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) und dem Hinweis zurückgewiesen, dass diese nicht erfüllt seien, weil die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten keinen Unterhalt bezogen habe. Weiter wurde ausgeführt “Der Bescheid für die Bewilligung der Witwenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten vom 08.10.2008 wurde zu Recht nach § 45 SGB X zurückgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage musste ihrem Widerspruch der Erfolg versagt bleiben.„
Am 20.04.2009 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und neben einer materiellen Berechtigung auf die Rente und Vertrauensschutz auch geltend gemacht, der angefochtene Bescheid könne auch deshalb keinen Bestand haben, weil im Widerspruchsbescheid kein Ermessen ausgeübt worden sei. Die Ausführungen zeigten vielmehr einen klaren Fall von Ermessensausfall.
Mit Urteil vom 04.03.2010 hat das SG den Bescheid vom 07.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil die Ausführungen im Widerspruchsbescheid nicht zu erkennen gäben, dass die Widerspruchsbehörde eigene Ermessenserwägungen angestellt hat. Nicht ausreichend sei, dass der Ausgangsbescheid Ermessenserwägungen entha...