Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschädigtengrundrente. Zivildienstbeschädigung. Streitgegenstand. Berufsschadensausgleich. Priorität von Rehabilitationsmaßnahmen. Prognoseentscheidung. Konkretisiertes Rehabilitationsangebot. Vorrang von zumutbaren und erfolgversprechenden Rehabilitationsmaßnahmen. neue Gesamtentscheidung über die Beschädigtengrundrente. keine isolierte Feststellung der besonderen beruflichen Betroffenheit. sozialgerichtliches Verfahren. Angebot einer Berufsfindungs- bzw. Berufserprobungsmaßnahme vonseiten der Versorgungsverwaltung ausreichend. Verweigerung jeglicher Erwerbstätigkeit. Obliegenheit zur Benennung von Wünschen und geeigneten Maßnahmen durch den Versorgungsberechtigten. mehrmaliger Hinweis der Versorgungsverwaltung auf § 29 BVG. Pflicht der Versorgungsverwaltung zur Vorlage eines konkretisierten Rehabilitationsangebots. Soziales Entschädigungsrecht
Orientierungssatz
1. Ein junger Versorgungsberechtigter, der aufgrund von geschädigten Körperteilen (hier: nach einem Unfall im Zivildienst) das von ihm ursprünglich anvisierte Studium nicht aufnehmen kann (hier: Studium zum Tonmeister, welches die Fähigkeit zum Klavierspiel voraussetzt), kann seinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSA) riskieren, wenn er stattdessen ein anspruchsvolles geisteswissenschaftliches Studium (hier: Jura-Studium) aufnimmt.
2. Das Gericht geht im Hinblick auf ein Jura-Studium davon aus, dass das Bestehen sämtlicher universitärer Prüfungen (insbesondere die Übungen für Vorgerückte in den Fächern Bürgerliches Recht, Strafrecht und Öffentliches Recht sowie die Universitätsprüfung) auch das Leistungsvermögen für das Bestehen des Juristischen Staatsexamens indiziert (mit der Folge der Verneinung einer schädigungsbedingten Einkommensminderung), selbst wenn das Examen letztlich nicht bestanden wird.
3. Nach § 29 BVG bedarf es grundsätzlich eines nach Ziel, Zeit, Ort, Inhalt, Dauer und Veranstalter konkretisierten Rehabilitationsangebots von Seiten der Versorgungsverwaltung (vgl LSG Stuttgart vom 18.5.2021 - L 6 VG 1518/20).
4. Den Leistungsempfänger treffen jedoch sowohl im Verwaltungs- als auch im Gerichtsverfahren Mitwirkungslasten, sodass er sich nach mehrmaligem Hinweis der Versorgungsverwaltung auf § 29 BVG nicht darauf beschränken kann, ein Angebot von Seiten der Versorgungsverwaltung für eine konkrete medizinische oder berufliche Rehabilitationsmaßnahme abzuwarten. Vielmehr kann von ihm verlangt werden, etwa durch die Benennung von aus seiner Sicht geeigneten Maßnahmen oder seiner Wünsche am Verfahren mitzuwirken.
5. Bekräftigt der Leistungsberechtigte, dass er zu keinerlei Erwerbstätigkeit bereit ist, kann es ausreichend sein, wenn die Versorgungsverwaltung mögliche rehabilitative Maßnahmen zumindest grob mit einer möglichen Berufsfindungs- bzw Berufserprobungsmaßnahme konkretisiert.
6. Wenn die Versorgungsverwaltung nach einer Entscheidung über die Beschädigtengrundrente gesondert über eine Erhöhung wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit (bbB) entscheidet, ist dies eine Entscheidung über die Beschädigtengrundrente insgesamt.
7. Der zuvor ergangene und bestandskräftige Bescheid wird dann, wenn sich eine höhere Rente ergibt, von Amts wegen nach § 44 Abs 1 SGB 10 geändert (vgl LSG Stuttgart vom 24.1.2017 - L 6 VH 789/15).
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der besonderen beruflichen Betroffenheit handelt es sich nicht um einen abtrennbaren, einer gesonderten Entscheidung zugänglichen Streitgegenstand.
2. Wenn die Versorgungsverwaltung somit nach einer Entscheidung über die Beschädigtengrundrente gesondert über eine Erhöhung wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit entscheidet, ist dies eine Entscheidung über die Beschädigtengrundrente insgesamt, so dass der zuvor ergangene und bestandskräftige Bescheid dann, wenn sich eine höhere Rente ergibt, von Amts wegen nach § 44 Abs. 1 SGB X geändert wird.
3. Bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB- bzw. GdS-Bewertungsgrundsätze (Einzel-GdB/GdS 30 bis 40) darstellt.
4. Die Priorität von Rehabilitationsmaßnahmen gilt uneingeschränkt auch in der Zeit, um die sie sich hinauszögern, weil der Beschädigte nicht mitwirkt.
5. Entfallen während dieser Zeit Zumutbarkeit und/oder Erfolgsaussicht, so wirkt der Prioritätsgrundsatz nicht mehr – nur – anspruchsaufschiebend, sondern anspruchsausschließend.
6. Unabhängig davon, ob ein konkretes, etwa nach Ziel, Zeit, Ort, Inhalt, Dauer und Veranstalter der Rehabilitationsmaßnahme sowie nach begleitenden Leistungen bestimmtes Angebot der Verwaltung zu fordern ist, muss ein Beschädigter, für den es erfolgversprechende und zumutbare Rehabilitationsmaßnahmen gibt, vorab über die leistungsrechtliche Bedeutun...