Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Zahnersatz. kein vollständiger Ausgleich bei bestehender Behinderung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht
Orientierungssatz
Im Bereich des Zahnersatzes ist schon nach der gesetzlichen Regelung nicht ein möglichst vollständiger Ausgleich einer bestehenden Behinderung, sondern eine nur teilweise Erstattung der tatsächlich entstehenden Kosten für die Regelversorgung vorgesehen. Dies verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.08.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die volle Übernahme der tatsächlichen Kosten für eine 2009 erfolgte Eingliederung von Zahnersatz.
Die 1990 geborene Klägerin ist bei der Beklagten familienversichert. Sie leidet an einer angeborenen doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte mit Nichtanlage der Zähne 15, 14, 12-22, 25, 48, 44, 34, 38 und Zapfenzähnen 43-33. Der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spaltenverschluss erfolgte 1990/91, im August 2007 wurde eine Kieferspaltosteoplastik beidseits mit Knochenentnahme vom Becken vorgenommen.
Die Mutter der Klägerin legte bei der Beklagten einen Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr. Sch. vom 17.10.2008 vor, in dem hinsichtlich Gebiet 42-32 die Befunde 1.1 und 1.3 (erhaltungswürdiger Zahn mit weitgehender Zerstörung der klinischen Krone oder unzureichende Retentionsmöglichkeit; im Verblendbereich) und hinsichtlich der Gebiete 45-43 und 33-35 die Befunde 2.1 und 2.7 (zahnbegrenzte Lücke mit einem fehlenden Zahn; im Verblendbereich) aufgeführt waren. Als Therapie waren zwei Brücken (45-43 und 33-35, Brückenglieder 44, 34) mit vier Verblendungen sowie vier Vollkeramikkronen mit Verblendungen (42-32) vorgesehen. Die Beklagte bewilligte den Heil- und Kostenplan und setzte den befundbezogenen Festzuschuss mit 1.375,86 € fest (geschätzte gesamte Behandlungskosten 6.196,87 €). Nachdem die Mutter der Klägerin im Juli 2009 nochmals die Übernahme der Gesamtkosten forderte und hierbei auch das Bonusheft ihrer Tochter vorlegte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 22.07.2009 einen um 30 vH erhöhten Festzuschuss iHv 1.788,58 € und lehnte darüber hinaus die volle Kostenübernahme ab. Nach Gesetz und Rechtsprechung sei die Ursache der Notwendigkeit von Zahnersatz für die Höhe der Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht maßgeblich. Den von der Mutter der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2009 zurück.
Die Eingliederung des Zahnersatzes erfolgte in der Zeit vom 28.04. bis 19.06.2009. Hierfür stellte Dr. Sch. der Klägerin einen Eigenanteil iHv 4.747,60 € in Rechnung (Rechnung vom 05.08.2009), den diese beglich. Die Beklagte leistete an den Zahnarzt den Festzuschuss iHv 1.788,58 €.
Am 20.10.2010 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 22.07.2009 und Übernahme der vollen Kosten der Zahnbehandlung. Mit Bescheid vom 15.02.2010 lehnte die Beklagte die Rücknahme des ablehnenden Bescheids ab, da die Überprüfung ergeben habe, dass der Festzuschuss korrekt festgesetzt worden sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 18.05.2010 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte der Klägerin ausgeführt, es liege hier ein verfassungsrechtlich besonders schützenswerter Tatbestand vor, sodass nach dem Grundsatz des Benachteiligungsverbotes Behinderter wegen der besonderen Ursache der Notwendigkeit der prothetischen Versorgung ausnahmsweise eine volle Kostenübernahme geboten erscheine.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11.08.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die bindend gewordenen Bescheide aus dem Jahr 2009 seien nicht rechtswidrig, weshalb deren Rücknahme nach § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht in Betracht komme. Zahnersatz gebe es nach § 55 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) grundsätzlich nur in Form der befundbezogenen Festzuschüsse. Seitdem der Gesetzgeber zahnmedizinische Ansprüche in den wesentlichen Einzelheiten selbst festgelegt habe, könnten Krankenkassen und Gerichte nicht mehr als befugt angesehen werden, sich bei Zahnersatzleistungen unter Berufung auf besondere medizinische Zusammenhänge über die eindeutige gesetzliche Beschränkung auf einen Festzuschuss hinwegzusetzen und dem Gesetz noch eine Leistungspflicht ohne Eigenanteil zu entnehmen. Auf die Ursache für die Notwendigkeit des Zahnersatzes komme es nach alledem nicht an, sodass es keine Rolle spiele, dass die Klägerin wegen ihrer Gesichtsspalte kieferorthopädisch versorgt werden müsse. Eine Ausnahmeregelung, wie sie der Gesetzgeber im Bereich der Kieferorthopädie nach § 29 SGB V vorgesehen habe, habe er für den Bereich des Zahnersatzes gerade nicht getroffen. Insoweit liege eine bewu...