Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis von nach dem FRG zu berücksichtigenden sowjetischen Beitragszeiten. Arbeitsbuch. Nachweis von Tatsachen durch Angaben des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
1. Beschäftigte einer Sowchose oder anderer sowjetischer Staatsbetriebe erhielten im Krankheitsfall Krankengeld vom Sozialversicherungsfonds und keine Lohnfortzahlung des Arbeitgebers. Dadurch minderte sich die für den abzuführenden kollektiven Versicherungsbeitrag maßgebende Bruttolohnsumme des Betriebes, wenn der Arbeitsausfall nicht anderweitig ausgeglichen wurde. Die diesbezügliche bereits bestehende Rechtsprechung wird durch das vorgelegte Gutachten des Instituts für Ostrecht bestätigt. Für den Nachweis von Beitragszeiten ist deshalb (auch) der Nachweis in Bezug auf Krankheitszeiten notwendig. Dieser Nachweis kann nicht durch das Arbeitsbuch geführt werden, weil dort nur Anfang und Ende der Beschäftigung dokumentiert sind.
2. Zum Nachweis von Tatsachen durch Angaben des Versicherten.
Orientierungssatz
1. Das Eingliederungsprinzip stellt weiterhin ein wesentliches Strukturelement des FRG dar (vgl BSG vom 27.6.2018 - B 13 R 273/16 B).
2. Bei der Frage, ob und inwieweit der Tatbestand des § 22 Abs 3 FRG (nicht nachgewiesene Beitrags- oder Beschäftigungszeiten) im Einzelfall als erfüllt angesehen werden kann, handelt es sich um die Bewertung tatsächlicher Grundlagen und nicht um eine grundsätzliche Rechtsfrage (vgl BSG vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B).
Normenkette
FRG § 22 Abs. 1, 3, § 15 Abs. 1 S. 1, § 26 S. 2; SGB VI § 63 Abs. 1, § 2 S. 1, § 64 Abs. 1 Nr. 1, § 77; BVFG § 4; SGB X § 39 Abs. 2; SGG §§ 86, 96 Abs. 1, §§ 128, 160 Abs. 2
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.06.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt höhere Altersrente für Frauen unter ungekürzter Berücksichtigung der in der ehemaligen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (U. . ) im Zeitraum von Mitte August 1973 bis Mitte Oktober 1978 zurückgelegten Versicherungszeiten.
Die am … 1951 in K. (ehemalige K. S., heute Republik K.) geborene Klägerin - deutsche Staatsbürgerin und nach eigener Angabe anerkannte Spätaussiedlerin - siedelte Ende Januar 1990 aus der K. S. (heute: K. Republik) kommend in das Bundesgebiet über. Ausweislich ihres (auszugsweise in Kopie) vorgelegten, Mitte September 1973 ausgestellten Arbeitsbuchs (Übersetzung in die Gerichtssprache Bl. 92 ff. SG-Akte) war sie vom 15.08.1973 bis zur ihrer Kündigung auf eigenen Wunsch am 28.07.1975 als Lehrerin für die französische Sprache in einer Mittelschule in der K. Autonomen S. (heute: K. Republik, Föderationskreis N. der R. Föderation) beschäftigt. Sodann arbeitete sie vom 18.08.1975 bis 30.08.1977 bzw. vom 16.08.1977 bis 02.08.1978 in der K. S. (vgl. Bl. 194 Rs. Senats-Akte) als Erzieherin in Internatsschulen und war anschließend bis zu ihrer Kündigung am 17.10.1978 in der „Garnfabrik Nr. 2“ bzw. im „Werk Nr. 2“ (wiederum in der K. Autonomen S. , s. erneut Bl. 194 Rs. Senats-Akte) als Lehrling, (ab 29.09.1978) als Garnarbeiterin (Wicklerin) des 1. Grades und (ab 03.10.1978) als „Arbeiterführer (Brigadeleiterin)“ tätig.
Auf ihren Antrag von Anfang Mai 2011 bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2011 Altersrente für Frauen ab dem 01.08.2011 (monatliches Recht auf Rente: 726,79 € brutto; monatlicher Auszahlungsbetrag: 653,03 €). Der Rentenberechnung legte sie dabei (u.a.) persönliche Entgeltpunkte i.H.v. 26,4577, einen Rentenartfaktor für die Altersrente von 1,0 sowie einen auf 0,820 verminderten Zugangsfaktor wegen vorzeitiger Inanspruchnahme zu Grunde (Kürzung des Zugangsfaktors von 1,000 um 0,003 für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme, hier 60 Monate ausgehend von einem „regulären“ Rentenbeginn am 01.08.2016: 1,000 abzgl. 60 x 0,003 = 0,180) und berücksichtigte (u.a.) die in der ehemaligen U. . zurückgelegten Beschäftigungszeiten vom 15.08.1973 bis 17.10.1978 als (lediglich) glaubhaft gemachte - und nicht nachgewiesene - Pflichtbeitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG), sodass sie demgemäß die jeweils zu Grunde gelegten Tabellenwerte nur zu 5/6 statt zu 6/6 anrechnete.
Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch begehrte die Klägerin (u.a.) eine „Vollanrechnung der Beitragszeiten“ und legte - im Hinblick auf seinerzeit noch weitere streitige FRG-Zeiten - Arbeitgeberbescheinigungen in Kopie vor (u.a. Bescheinigung Nr. 197 der „Offene Aktiengesellschaft K. Chemisch-Metallurgischer Betrieb“ - früher zu Sowjetzeiten: K. Bergbau- und Metallurgiekombinat“ - vom 19.07.2011 betreffend den Zeitraum ab Juni 1979, S. 187 VerwA = Bl. 36 SG-Akte, Übersetzung in die Gerichtssprache S. 189 f. VerwA; Bescheinigung Nr. 313 des vorgenannten Unternehmens vom 19.07.2011 betreffend den Zeitraum ab 21.11.1978, S. 199 VerwA, Übersetzung in die Gerichtssprache S. 201 ff. VerwA). Nach Anhörung stellte die Beklagte die Altersrente der Klä...