Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch eines Krankenhauses auf Vergütung einer allogenen Blutstammzellentransplantation. grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005
Leitsatz (amtlich)
Zum (hier bejahten) Anspruch eines Krankenhauses auf Vergütung bei einer allogenen Blutstammzellentransplantation aufgrund der grundrechtsorientierten Auslegung der Regelungen des SGB V.
Orientierungssatz
Zu Leitsatz vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = BVerfGE 115, 25.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Juni 2013 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten K. H. weitere € 59.120,22 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13. Juni 2008 zu zahlen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf € 59.321,64 festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für Leistungen der stationären Krankenhausbehandlung des klagenden Hochschulklinikums für die bei der Beklagten krankenversichert gewesene, 1953 geborene K. H. (im Folgenden: Versicherte) vom 14. November 2005 bis 29. Januar 2006 in Höhe von zuletzt noch € 59.120,22 Euro.
Im Oktober 2005 wurde bei der Versicherten eine akute myeloische Leukämie (AML) aus myelodysplastischem Syndrom (MDS) diagnostiziert. Bei der Behandlung wurde auf eine Standardinduktionstherapie verzichtet und stattdessen eine allogene Blutstammzelltransplantation als Therapieansatz verfolgt. Nachdem sich beide Schwestern und die Tochter der Versicherten nicht als HLA-identisch erwiesen, wurde die Suche nach einem Fremdspender eingeleitet. Der Karnofsky-Index (eine Skala, mit der symptombezogene Einschränkungen der Aktivität, Selbstversorgung und Selbstbestimmung bei Patienten mit bösartigen Tumoren bewertet werden können) betrug im Oktober 2005 90% (geringfügig verminderte Aktivität und Belastbarkeit, geringe Krankheitssymptome). Im November 2005 trat eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Versicherten ein. Der nachweisbare Blastenanteil lag bei über 30% bei 9% Blasten im periferen Blut und Panzytopenie. Die Versicherte wurde am 14. November 2005 erneut stationär zur Einleitung einer Induktionschemotherapie aufgenommen. Der Karnofsky-Index betrug 80% (normale Aktivität nur mit Anstrengung, einige Krankheitssymptome). Die Therapie wurde im Rahmen der AML SG 07/04-Studie nach dem ICE-Protokoll mit Valproat und ATRA durchgeführt. Anschließend ergaben die histologischen Untersuchung eine Blastenpersistenz. Es wurde von einem primären Induktionsversagen ausgegangen und anschließend eine Therapie mit Danupricien und Arac eingeleitet. Der Allgemeinzustand der Versicherten verbesserte sich. Die Leukämie-Parameter gingen zurück (Bericht des Prof. Dr. M. vom 15. November 2005 über die vom 14. November 2005 bis 11. Januar 2006 beim Kläger erfolgte stationäre Behandlung). Am 11. Januar 2006 wurde die Versicherte zur Durchführung einer allogenen Stammzelltransplantation auf eine andere Station des Klägers verlegt. Der Karnofsky-Index belief sich auf 50% (erhebliche Unterstützung und Pflege, ärztliche Hilfe erforderlich) (Bericht des Prof. Dr. F. vom 30. Januar 2006 über die vom 11. bis 29. Januar 2006 beim Kläger erfolgte stationäre Behandlung). Der Allgemeinzustand der Versicherten zum Zeitpunkt der Verlegung wurde im Bericht vom 15. November 2005 als ordentlich, im Bericht vom 30. Januar 2006 als deutlich reduziert beschrieben.
Nach - von der Versicherten problemlos vertragener - Konditionierung mit dem intensität-reduzierten Konditionierungsprotokoll FBM (Flurdarabin, BCNU, Melphalan) wurde am 20. Januar 2006 eine allogene periphere Blutstammzellentransplantation durchgeführt. Wenige Tage danach bildete sich ein septisches Krankheitsbild mit beginnendem Organversagen. Die Versicherte verstarb am 2006 auf Grund respiratorischer Insuffizienz bei Pneumonie und Sepsis (Bericht des Prof. Dr. F. vom 30. Januar 2006). In diesem Bericht führte Prof. Dr. F. unter anderem aus, aufgrund des schlechten Ansprechens der konventionellen Chemotherapie und der bestehenden ausgeprägten Hochrisikosituationen mit sekundärer AML bei hochkomplexem aberanntem Karyotyp sei die Indikation zur allogenen Blutstammzelltransplantationen gestellt worden. Diese Therapieform stelle nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft in der vorliegenden Situation die einzige kurative Behandlungsoption dar. Nach ausführlicher mündlicher und schriftlicher Aufklärung über Nutzen sowie Risiken und Nebenwirkungen der geplanten Konditionierung und Transplantation habe die Versicherte in die Therapie eingewilligt. Die Versicherte und Prof. Dr. F. hatten bereits unter dem 13. September 2005 eine “Aufklärungs- und Einverständniserklärung über die allogene Knochenmark- bzw. periphere Blutstammzelltransplant...