Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Erbengemeinschaft. gesamtschuldnerische Haftung. Ermessen des Sozialhilfeträgers hinsichtlich der Auswahl eines Gesamtschuldners
Leitsatz (amtlich)
Will ein Sozialhilfeträger im Rahmen des Kostenersatzes durch Erben gem § 102 SGB XII einen von mehreren Miterben als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen, muss die Auswahl im Rahmen einer Ermessensentscheidung erfolgen. Eine Ermessensreduzierung auf Null folgt nicht schon daraus, dass einer der Miterben Betreuer des verstorbenen Leistungsberechtigten war.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. November 2018 und der Bescheid des Beklagten vom 14. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2018 aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Kostenersatzforderung des Beklagten.
Der Kläger ist der Bruder der am 25. Mai 2015 verstorbenen M (im Weiteren: die Leistungsberechtigte) und war bis zu deren Tod ihr Betreuer (Bestallungsurkunde vom 22. März 1993, Bl. 125 Verw.-Akte). Die Leistungsberechtigte erhielt von dem Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) bis zum 30. April 2007 (Bl. 50 Verw.-Akte). Der Kläger ist, wie drei weitere Geschwister, mit einem Erbanteil von einem Viertel Erbe der Leistungsberechtigten, welche nach dem gemeinschaftlichen Erbschein vom 25. November 2016 (Bl. 69 ff. Verw.-Akte) neben Geldvermögen (Kontenaufstellung Rbank G eG vom 18. Juni 2015, Bl. 77 Verw.-Akte) Miteigentum an verschiedenen Grundstücken hinterließ (Grundbuch G Nr.X: Flurstücke 245/, 3224, 3235, 5728, 5792; Grundbuch G Nr. X1: FlSt 3338, Bl. 79 ff. Verw.-Akte). Der Grundbesitz stammte dabei aus der Beteiligung der Leistungsberechtigten an einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft nach ihren Eltern und mit ihren Geschwistern.
Nachdem der Beklagte Kenntnis vom Tod der Leistungsberechtigten erlangte, trat er in die Prüfung der Vermögensverhältnisse der Verstorbenen ein, bat u.a. den Kläger mit Schreiben vom 15. September 2017, 23. Oktober 2017 - dieses unter Beifügung einer Kostenaufstellung, welche Gesamtkosten von 27.242,20 EUR auswies (Bl. 98 Verw.-Akte) - und 11. Januar 2018 um Vorlage verschiedener Unterlagen zum Nachlass und machte mit Bescheid vom 14. März 2018 gegenüber dem Kläger einen Kostenersatz in Höhe von 24.848,20 EUR für in der Zeit vom 25. Mai 2005 bis 30. April 2007 erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe geltend (Bl. 118 f. Verw.-Akte). Der Gesamtnachlass ohne Gebäude aus Geld- und Grundvermögen betrage 34.787,79 EUR, wovon Nachlassverbindlichkeiten von 6.675,00 EUR und der Freibetrag in Höhe des dreifachen Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII (2.394,00 EUR) abzusetzen seien. Das einzusetzende Vermögen betrage daher 25.718,79 EUR. Der Kläger sei zu einem Viertel Erbe der Leistungsberechtigten geworden. Miterben hafteten nach § 2058 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als Gesamtschuldner. Er werde daher im Rahmen der Haftung als Gesamtschuldner aufgefordert, den geforderten Betrag zu überweisen.
Am 27. März 2018 legte der Kläger gegen diese Entscheidung Widerspruch ein und führte unter Vorlage eines Anlagenkonvoluts (u.a. Testament der Mutter der Geschwister vom 5. Dezember 1991, Ehe- und Erbvertrag der Eltern vom 22. April 1954, gemeinschaftliches Testament der Eltern vom 27. November 1961) aus, dass die gemeinsame Mutter die Leistungsberechtigte mit einem Geldvermächtnis bedacht habe, als Erbin sei sie dagegen nicht aufgeführt. Weiter habe die Leistungsberechtigte ein unentgeltliches Wohnrecht erhalten. Ihm - als Betreuer, aber auch als Testamentsvollstrecker (der Mutter der Geschwister - Anm. d.G.) - und zwei seiner Schwestern - die Pflegerin der Leistungsberechtigten und deren Vertreterin - stehe gegenüber der Leistungsberechtigten ein Ausgleichsanspruch für nicht berechnete Aufwandsentschädigungen zu, desweiteren ihm als zu verrechnende Ausgleichspositionen anteilige Vergütung für Testamentsvollstreckung und der Verzicht auf Betreuervergütungen von 1995 bis 2015. Es verbleibe ein Restgeldvermächtnis von 4.076,23 EUR, das den Erben zustehe und im Wesentlichen für die weitere Grabpflege verwendet werde (Bl. 120 ff. Verw.-Akte).
Nachdem der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2018 zurückwies (Bl. 147 ff. Verw.-Akte), hat der Kläger am 15. Mai 2018 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.
Mit Urteil vom 20. November 2018 änderte das SG die Entscheidung des Beklagten dahingehend ab, dass der Kläger nur einen Kostenersatz von 12.424,10 EUR zu erstatten habe und wies die Klage im Übrigen ab. Der Beklagte habe den Wert des Nachlasses der Leistungsberechtigten unter Rückgriff auf die Angaben im Erbscheinantrag, den hierzu eingeholten Auskünften zu den Bodenrichtwerten und der Bankauskunft zutreffend berechnet. Der Kläger, der in der Vergangenheit alle fi...