Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheit. räumlicher Vergleichsmaßstab bei örtlichem Wohnungsmarkt. Anforderung an Ermittlung des Mietpreisniveaus. Freiberufler. kein höherer Wohnflächenbedarf. Geschäftsraum. Täuschung über Kostensenkungsbemühung
Leitsatz (amtlich)
1. Der räumliche Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der ortsüblichen Durchschnittsmiete beschränkt sich nicht auf die Wohngemeinde des Hilfeempfängers, wenn sich dort aufgrund ihrer Größe kein eigenständiger Wohnungsmarkt bilden konnte. Der relevante “örtliche Wohnungsmarkt„ kann in einem solchen Falle die im Umkreis von 10-20 km gelegenen Nachbargemeinden umfassen, die nach Lage, Größe und Struktur der Wohnortgemeinde vergleichbar sind (vgl LSG Darmstadt vom 23.7.2007 - L 9 AS 91/06 ER).
2. Der Grundsicherungsträger ist gehalten, ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung des Mietpreisniveaus auf dem örtlichen Wohnungsmarkt zu ermitteln. Im Falle des Fehlens örtlicher Mietspiegel oder sonstiger Mietdatenbanken hat er ggf weitere auf empirischer Basis tragfähige grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen. Hierzu gehört auch die systematische Dokumentation und Auswertung der örtlichen Anzeigenblätter über einen längeren Zeitraum und die Sammlung
und Auswertung von Daten aus Mietverhältnissen von Hilfeempfängern (Anschluss an BSG vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R; Fortführung von LSG Stuttgart vom 6.9.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B).
3. Die freiberufliche Tätigkeit begründet keinen höheren Wohnflächenbedarf als den einer Einzelperson sonst zugestandenen. Die Übernahme von Leistungen nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist zudem nicht für Geschäftsräume, sondern ausschließlich für private Wohnräume vorgesehen (Anschluss an BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R = SozR 4-4200 § 16 Nr 1 = FEVS 58, 490).
4. Täuscht ein Wohnungssuchender den Grundsicherungsträger über Art und Umfang seiner Kostensenkungsbemühungen, so stellt dieses Verhalten eine schwere Obliegenheitsverletzung dar, welche die Bemühungen zur Kostensenkung im betreffenden Zeitraum disqualifiziert.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 5. März 2008 (S 7 AS 6119/07) wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Übernahme der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2008.
Der am … 1963 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit 1. Januar 2005 laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er bewohnt seit dem 1. Januar 2000 alleine eine ca. 60 qm große 2-Zimmer-Wohnung, für die er eine monatliche Kaltmiete von 357,90 € zu entrichten hat; unter Berücksichtigung der Nebenkosten von 51,13 € sowie Müllgebühren von 5,17 € belaufen sich die Gesamtkosten der Unterkunft auf monatlich 414,20 €. Die Beklagte übernahm zunächst die vollen Kosten der Unterkunft. Bereits in den Bewilligungsbescheiden vom 18. April 2005 und 17. November 2005 war der Kläger auf die Unangemessenheit der Mietkosten hingewiesen und er zur Aufnahme von Kostensenkungsbemühungen aufgefordert worden. Ergänzend war der Kläger darüber belehrt worden, dass die unangemessene Miete lediglich für einen Übergangszeitraum als Bedarf berücksichtigen werden könne.
Am 13. Mai 2006 vereinbarten die Beklagte und der Kläger, dass dieser monatlich 25 - 30 Nachweise bezüglich seiner Bemühungen um angemessenen Wohnraum vorzulegen habe.
Mit weiteren Bescheiden vom 23. Januar 2006, 28. April 2006, 2. Mai 2006, 11. Mai 2006, 26. Mai 2006, 14. Juli 2006, 19. Oktober 2006 (zwei Bescheide) gewährte die Beklagte dem Kläger auch für die Zeit bis 31. Januar 2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Bescheid vom 19. Oktober 2006 enthält als Anlage folgenden Hinweis:
“Mit den Bescheiden vom 17.11.2005, 23.01.2006, 28.04.2006 und 26.05.2006 wurden Sie auf die unangemessenen Mietkosten für Ihre Wohnung hingewiesen.
Aus leistungsrechtlicher Sicht ist in unserem Zuständigkeitsbereich für 1 Person eine Kaltmiete von max. 229,95 Euro/mtl. bei einer Wohnungsgröße von bis zu 45 qm angemessen.
Sie wurden ebenfalls darauf hingewiesen, dass die unangemessene Unterkunftskosten lediglich für einen Übergangszeitraum, in Ihrem Fall voraussichtlich bis längstens 31.01.2007 (Fristverlängerung) als Bedarf berücksichtigt werden kann, in dem Ihnen die Senkung des Mietbedarfs durch Untervermietung bzw. durch andere Art und Weise zugemutet werden kann. Ihnen wurde mitgeteilt, dass es Ihnen bei der Suche nach einer billigeren Wohnung zuzumuten ist, kontinuierlich und konsequent allen Angeboten an privaten, städtischen und insbesondere öffentlich geförderten Wohnungen nachzugehen und das Ergebnis der Bemühungen für den Leistungsträger unter Nennung von Art, ...