Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme bei einer an Alzheimer mit fortgeschrittener Demenz erkrankten Versicherten
Orientierungssatz
Bei einer an Alzheimer mit fortgeschrittener Demenz erkrankten Versicherten ist weder die Rehabilitationsfähigkeit noch eine positive Rehabilitationsprognose ausgeschlossen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 02.03.2018 und der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.02.2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 5.591,60 € zu zahlen.
Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für eine durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme iHv 5.871,60 €.
Die 1941 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. 2013 wurde bei ihr eine Alzheimer Erkrankung festgestellt. Aktuell besteht Pflegegrad 4 und ein Grad der Behinderung von 100 vH mit den Merkzeichen “H„, “G„ und “aG„; 2016 war ein GdB von 50 vH ohne Merkzeichen anerkannt sowie Pflegestufe 2.
Unter dem 10.03.2016 verordnete die neurologisch-psychiatrische Gemeinschaftspraxis Dres. W. der Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitation mit Begleitung des Ehemannes. Als Rehabilitationsziele wurden genannt: körperliche und geistige Aktivierung, Hilfe zur teilweisen Selbsthilfe. Die Rehabilitationsfähigkeit wurde in allen Punkten bejaht (ausreichende physische und psychische Belastbarkeit; erforderliche Mobilität, ausreichende Motivation, Motivierbarkeit). Ergänzend wurde eine Bescheinigung von Prof. Dr. A. vom 22.03.2016 vorgelegt. Dieser führte aus, dass er die Klägerin wegen einer leichten bis mittelschweren Demenz vom Alzheimer-Typ behandele. Eine stationäre Behandlung im Alzheimer-Therapiezentrum B. A. erscheine sehr sinnvoll, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. Im Rahmen einer Direktberatung äußerte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) unter dem 31.03.2016 stichwortartig: keine ausreichende Rehafähigkeit; neg. Rehaprognose. Mit Bescheid vom 04.04.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung stationärer Rehabilitationsleistungen ab, da laut MDK keine ausreichende Rehabilitationsfähigkeit bestehe.
Hiergegen erhob die Klägerin am 03.05.2016 Widerspruch. Aus der Stellungnahme des MDK sei nicht ersichtlich, ob überhaupt irgendwelche medizinischen Unterlagen ausgewertet worden seien, eine Untersuchung der Klägerin habe nicht stattgefunden. Es werde der Anschein erweckt, dass lediglich aufgrund der vorliegenden Demenzerkrankung von fehlender Rehabilitationsfähigkeit ausgegangen worden sei. Zudem gelte die beantragte Leistung nach § 13 Abs 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) als genehmigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe die Kostenübernahme einer stationären Rehabilitationsleistung in einer Vertragseinrichtung beantragt. Aufgrund der Einschätzung des MDK, dass bei dem bestehenden Krankheitsbild keine Rehabilitationsfähigkeit bestehe und von einer negativen Rehabilitationsprognose ausgegangen werden müsse, könne die beantragte Maßnahme nicht bewilligt werden.
Hiergegen richtet sich die am 28.02.2017 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage. Die Klägerin macht geltend, die Ausführungen der Beklagten seien weiterhin spekulativ und nicht ausreichend begründet.
Das SG hat die behandelnden Ärzte Dr. R. und die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie H. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Die Beklagte hat in Auswertung dieser Aussagen ein weiteres Gutachten des MDK vom 10.08.2017 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass die Klägerin selbst nicht mehr über eine ausreichende Lernfähigkeit verfüge, so dass die Rehabilitationsziele vermutlich nicht erreicht werden könnten. In einer ihr nicht vertrauten Umgebung könne sich der Zustand der Klägerin möglicherweise sogar verschlechtern bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen einer Überforderungssymptomatik.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.03.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zuvor hatte die Klägerin einen im Erörterungstermin am 23.01.2018 geschlossenen Vergleich hinsichtlich einer Beratung über die am Wohnort in Betracht kommenden ambulanten Leistungen zur Unterstützung von an Demenz leidenden Versicherten und ihren Angehörigen fristgerecht widerrufen. Zur Klageabweisung führt das SG aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. § 13 Abs 3a SGB V sei nicht einschlägig, denn Rehabilitationsleistungen seien ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen. Die eine Genehmigungsfiktion enthaltende Regelung des § 18 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sei erst zum 01.01.2018 in Kraft getreten, habe daher für das 2016 abgeschlossene Verwaltungsverfahren ke...