Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. sozialgerichtliches Verfahren. Vorwegnahme bzw Erledigung der Hauptsache durch einstweilige Anordnung zur unbefristeten Gewährung einer Sachleistung. Abgrenzung der ambulanten von der teilstationären Krankenhausbehandlung (Pharmakotherapie). intravenöse Immunglobulintherapie. neue Behandlungsmethode iSv § 137c Abs 3 SGB 5. hier: Arzneimittel "Intratect" zur Behandlung eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) mit Urtikaria-Vaskulitis
Leitsatz (amtlich)
1. Wird die Krankenkasse im Wege einer einstweiligen Anordnung zur unbefristeten Gewährung einer Sachleistung verpflichtet, kann darin eine echte Vorwegnahme der Hauptsache liegen mit der Folge, dass ein auf Erstattung der Sachleistung in Geld gerichteter Erstattungsanspruch ausscheidet und sich die Hauptsache insoweit erledigt hat.
2. Die Abgrenzung der ambulanten von der teilstationären Krankenhausbehandlung richtet sich danach, in welchem Umfang neben der Behandlung der Patient die Infrastruktur des Krankenhauses in Anspruch nimmt. Eine intravenöse Immunglobulintherapie, die zunächst alle vier, später alle fünf Wochen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in den Räumen der Immunologischen Ambulanz einer Hautklinik durchgeführt wird und pro Tag mindestens vier Stunden dauert, ist als teilstationäre Behandlung (Pharmakotherapie) zu werten.
3. Eine teilstationär durchgeführte Pharmakotherapie hat als neue Behandlungsmethode zumindest dann das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative iS des § 137c Abs 3 SGB V, wenn sie der Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Krankheit dient, für die eine nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin kausal wirksame Therapie nicht existiert. Außerdem muss im Einzelfall eine begründete Aussicht bestehen, dass damit ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann, wobei es nicht darauf ankommt, dass bereits Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das eingesetzte Arzneimittel für die Behandlung der Krankheit zugelassen werden kann.
Orientierungssatz
Zum Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel "Intratect" zur Behandlung eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) mit Urtikaria-Vaskulitis.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 03.02.2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin eine intravenöse Immunglobulintherapie als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf eine intravenöse Immunglobulin-Therapie (IVIG) zur Behandlung einer Urtikaria-Vasculitis geltend.
Die 1958 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Jahr 1993 wurde bei der Klägerin erstmals ein systemischer Lupus erythematodes (SLE) diagnostiziert. Bei dieser Diagnose handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für ein Spektrum von Autoimmunerkrankungen der Haut und der inneren Organe. Der systemische Lupus erythematodes erfasst eine Form der Kollagenose (systemische entzündliche Autoimmunerkrankung des Bindegewebes bzw interstitiellen Fasern), welche sich in unterschiedlichen Mustern des Organbefalls manifestiert, bspw Arthritiden, Hauterscheinungen, Blutbildveränderungen, Lupusnephritis, Pleuritis und Perikarditis, Endokarditis und psychische Störungen (vgl Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage 2007, S. 1140f). Des Weiteren leidet die Klägerin an einer Raynaud-Symptomatik, Arthralgien, einer ösophagealen Passagestörung, sowie einem Sicca-Syndrom der Augen und des Mundes.
Ab 1993 wurde die Klägerin mit Hydroxychloroquin und Corticoiden und ab dem Jahr 2001 mit Methotrexat behandelt. Nachdem im Jahr 2009 eine Schluckstörung aufgetreten war, wurde ein sogenannter Overlap mit einer systemischen Sklerose (Sklerodermie) festgestellt. Im Jahr 2008 manifestierte sich eine Urticaria-Vasculitis mit begleitender Zungenschwellung, welche ab September 2009 mit Rituximab therapiert wurde. Unter Urticaria-Vasculitis versteht man eine Variante der Vasculitis (entzündliche Reaktion, die die Wand der Blutgefäße involviert) mit über Tage bestehenden Quaddeln, Fieber, Arthralgien, beschleunigter BSG (Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit) und Leukozytose (vgl Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage 2007, S. 2000). Seit Oktober 2008 ist die Klägerin in Behandlung in der Immunologischen Ambulanz der Hautklinik des Universitätsklinikums H. bei Prof. Dr. E.
Mit Schreiben vom 23.10.2009 beantragte Prof. Dr. E. für die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die IVIG-Therapie und führte zur Begründung aus, dass seit Juni 2008 urticarielle Hautveränderungen aufgetreten seien, wel...