Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. innerer Zusammenhang. eigenwirtschaftliches Interesse. betriebliches Interesse. Wiedererlangung bzw Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Sägearbeiten. besonderes Durstgefühl. Trinken während der Mittagspause

 

Orientierungssatz

Ein Auszubildender, der am Unfalltag bei Sägearbeiten und bei gleichzeitigem Betrieb von Gatter, Hacker und Gebläse einer hohen Staubbelastung ausgesetzt war, steht beim Trinken (hier: öffnen einer Flasche) während der Mittagspause unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.10.2002; Aktenzeichen B 2 U 6/02 R)

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall.

Der 1980 geborene Kläger erlitt während seiner Ausbildung als Sägewerker am 26.03.1999 eine schwere Augenverletzung als er kurz nach 12.00 Uhr im Aufenthaltsraum seines Ausbildungsbetriebes eine Flasche Cola-Mix öffnen wollte. Dabei schoss ihm der Deckel der Flasche explosionsartig ins Auge und verursachte eine schwere Augapfelprellung (Contusio bulbi) mit Vorkammerblutung und erhöhtem Augeninnendruck. Die den Kläger behandelnde Augenärztin leitete zunächst eine berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ein und wies den Kläger in die Augenklinik T ein, wo er bis 03.04.1999 stationär behandelt wurde. Während des Krankenhausaufenthaltes bildete sich die Augapfelprellung nahezu vollständig zurück.

Der Kläger vertrat gegenüber der Beklagten die Auffassung, der Unfall sei als Arbeitsunfall zu werten. Die Arbeit im Sägewerk sei außergewöhnlich anstrengend. Er müsse dabei extrem viel schwitzen, was einen hohen Flüssigkeitsverlust zur Folge habe. Daher nehme er in der Regel zwei Flaschen Cola-Mix zur Arbeit mit; eine Flasche trinke er am Vormittag, eine am Mittag. Zuvor habe er niemals einen derart hohen Flüssigkeitsbedarf gehabt. Der Arbeitgeber des Klägers teilte der Beklagten mit, der Kläger habe am Unfalltag vor der Mittagspause Bretter gestapelt. Die Frage der Beklagten, ob am Arbeitsplatz besondere Belastungen wie große Hitze oder starker Staub bestanden hätten, verneinte die Firma. Daraufhin lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Leistungen mit Bescheid vom 10.06.1999 ab. Bei dem Ereignis vom 26.03.1999 habe es sich um keinen Arbeitsunfall gehandelt. Die Einnahme von Mahlzeiten und Getränken sowie die Zubereitungshandlungen hierzu wie z.B. das Öffnen einer Flasche seien grundsätzlich den unversicherten privaten Bereich zuzurechnen, und zwar auch dann, wenn die Mahlzeit oder das Getränk in einer Arbeitspause innerhalb des Betriebes eingenommen werde. Außergewöhnlich anstrengende und durstmachende Tätigkeiten, die ein Trinken erforderlich machten, um die Arbeit weiter verrichten zu können -- Arbeit am Hochofen, extreme Hitze, extreme Staubentwicklung -- könnten zwar ausnahmsweise einen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung begründen, nicht aber die Arbeit im Sägewerk. Im Übrigen sei das Trinken auch unabhängig von der Arbeit des Klägers erforderlich gewesen und zwei Flaschen Cola-Mix während einer Arbeitsschicht entsprächen auch dem durchschnittlichen Flüssigkeitsbedarf eines Menschen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger -- vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten -- am 09.07.1999 Widerspruch ein. Er machte geltend, er sei am Vormittag des Unfalltages im Keller des Sägewerks damit beschäftigt gewesen, an einer Maschine Abfallholz zu Sägemehl bzw Sägespänen zu verarbeiten. Das Sägemehl werde über ein Gebläse aus der Maschine heraus auf einen Haufen geblasen und wirbele ganzen Raum umher, so dass man auch dann, wenn man sich nicht unmittelbar in Blasrichtung aufhält, aussehe als wäre man in einen Schneesturm geraten. Die Arbeit sei auch körperlich anstrengend, weil man die ganze Zeit über das Restholz mit einer Schaufel in die Maschine werfen müsse. Er habe alleine im Keller gearbeitet, doch könnten die anderen Mitarbeiter seine Angaben sicher bestätigen. Auf eine schriftliche Anfrage der Beklagten teilte der Arbeitgeber des Klägers am 19.08.1999 fernmündlich mit, er könne sich nicht mehr genau daran erinnern, welche Arbeiten der Kläger am Unfalltag verrichtet habe. Für ihn stehe aber fest, dass kein Arbeitsunfall vorliege, weil sich der Unfall bei einer privaten Tätigkeit ereignet habe. Die Arbeit im Keller sei auch nicht sehr anstrengend. Das Transportband, auf dem das zu zerkleinernde Holz transportiert werde, laufe langsam, so dass man nicht ständig Holz auf das Band schaufeln müsse. Außerdem stünden im Keller Schutzbrillen und Atemschutzmasken zur Verfügung, die das widrige Arbeitsklima abmilderten. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, da der Kläger regelmäßig zwei Flaschen Cola-Mix bei der Arbeit trinke, habe er jeden Tag das gleiche Trinkbedürfnis, unabhängig davon, ob er im Keller arbeite oder nicht. Diese Getränkeverbrauch entspreche dem eines normalen, gesund lebende Menschen. Im Übrigen werde die Schwere der ...

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