Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Nichtantritt einer angebotenen Trainingsmaßnahme. Verhältnis von § 31 Abs 1 zu § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB 2. Sanktionsbescheid. Bestimmtheit. Heilung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verletzung von Obliegenheiten aus einer Eingliederungsvereinbarung kann nur nach § 31 Abs 1 SGB 2 sanktioniert werden.
2. § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB 2 stellt gegenüber § 31 Abs 1 SGB 2 keinen Auffangtatbestand dar, sondern erfasst nur Obliegenheitsverletzungen, die zeitlich dem Bezug von Arbeitslosengeld II vorgelagert sind.
Orientierungssatz
Ein Sanktionsbescheid gem § 31 Abs 1 SGB 2 ist nicht hinreichend bestimmt nach § 33 Abs 1 SGB 10, wenn in diesem Bescheid der Absenkungsbetrag nicht konkret beziffert wird (vgl LSG Stuttgart vom 21.1.2009 - L 3 AS 2935/08). Der Mangel der Bestimmtheit eines Sanktionsbescheides kann durch dessen Konkretisierung im Widerspruchsbescheid mit Rückwirkung geheilt werden (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 16.10.2008 - L 5 AS 449/08). Dies ist hier fraglich, weil der Widerspruchsbescheid erst zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, nachdem bereits die Absenkung vollzogen wurde, so dass dem Arbeitsuchenden nicht möglich war, auf die Absenkung zu reagieren und im Vorhinein zu entscheiden wie er den fehlenden Betrag decken kann.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Absenkung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die 1950 geborene Klägerin steht mit ihren beiden 1988 und 1989 geborenen Töchtern im Anschluss an den Bezug von Sozialhilfe seit 01.01.2005 im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt waren der aus der Klägerin und ihren beiden Töchtern bestehenden Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 10.10.2006 für die Zeit vom 01.11.2006 bis 30.04.2007 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.229,43 € bewilligt worden. Diese Leistung setzte sich unter Anrechnung von Kindergeld in Höhe von 308 € aus der Regelleistung in Höhe von 345 € für die Klägerin und in Höhe von jeweils 276 € für die Kinder, einem Mehrbedarf für Alleinerziehung in Höhe von 41 € und Unterkunftskosten in Höhe von 599,43 € zusammen.
Am 11.09.2006 fand ausweislich eines am selben Tag erstellten Vermerks der Beklagten ein Kontakt zwischen der Klägerin und der Beklagten statt. Dabei entschied sich die Klägerin nach dem Vermerk zur Teilnahme an einer am 16.10.2006 beginnenden Maßnahme Sachbearbeitung für gelernte Kaufleute. Da die Teilnehmerliste schon voll war, wurde sie auf die Nachrückliste gesetzt.
Nach einer nicht unterschriebenen und nicht mit einem Datum versehenen Eingliederungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten mit einer vorgesehenen Gültigkeitsdauer bis 11.03.2007 verpflichtete sich die Klägerin, Ortsabwesenheit vorher mit dem persönlichen Ansprechpartner abzustimmen und alle Möglichkeiten zu nutzen, um den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten und an allen Maßnahmen zur Eingliederung mitzuwirken. Hierbei sind insbesondere Stellensuche/Erstellung von Bewerbungsunterlagen genannt.
Mit Bescheid vom 19.10.2006, dem eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt war, schlug die Beklagte der Klägerin vor, ab 23.10.2006 an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung/Trainingsmaßnahme für kaufmännische Sachbearbeitung, die am 16.10.2006 begonnen hatte und bis 08.12.2006 dauern sollte, teilzunehmen.
Die Klägerin trat die Eingliederungsmaßnahme am 23.10.2006 nicht an.
Im Rahmen der Anhörung teilte sie unter dem 23.11.2006 mit, sie habe an der Trainingsmaßnahme nicht teilnehmen können, da sie sich von einer sehr schweren Grippe habe erholen müssen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe sie nicht, da sie wegen der Arztgebühr keinen Arzt aufgesucht habe. Im Übrigen könne sie als Alleinerziehende eine achtstündige Schulung aber auch kaum wahrnehmen. Eine vierstündige Schulung wäre eventuell möglich.
Am 30.11.2006 erließ die Beklagte einen Bescheid zur Absenkung des Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 SGB II. Darin hieß es wörtlich: “Der Ihnen zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II wird unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 monatlich um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des zustehenden Auszahlungsbetrags, abgesenkt. Daraus ergibt sich eine Absenkung in Höhe von maximal 104 € monatlich. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung wird insoweit für den o.g. Zeitraum gemäß § 48 Absatz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben. Im Einzelnen sind von der Absenkung betroffen: die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II).„ Begründet wurde die Entscheidung gestützt auf § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II damit, dass die Klägerin trotz Belehrung über die Rechtsfolgen a...