Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Kostenübernahme für eine Schulbegleitung. Nachrang der Sozialhilfe. Betroffensein des Kernbereichs pädagogischer Arbeit. Bestimmung des Kernbereichs pädagogischer Arbeit. Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde über die Zuweisung an eine bestimmte Schule oder Schulart
Leitsatz (amtlich)
1. Auch ein geistig behindertes Kind hat bei inklusiver Beschulung an einer Regelschule Anspruch auf einen Schulbegleiter im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB 12.
2. Der Kernbereich der Schule ist nicht betroffen, wenn es sich im Wesentlichen um Hilfe zur Konzentration und Selbstorganisation handelt.
3. Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer ist nicht nach den schulrechtlichen Vorschriften des jeweils betroffenen Landes, sondern bundeseinheitlich durch Auslegung der sozialhilferechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12, § 12 Nr 1 EinglHV (juris: BSHG§47V) zu bestimmen (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R = BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8 und vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R = BSGE 112, 196 = SozR 4-3500 § 54 Nr 10).
Orientierungssatz
Der für die Gewährung von Eingliederungshilfe zuständige Leistungsträger ist mit dem Einwand ausgeschlossen, dass eine für den Regelschulbesuch erforderliche Schulbegleitung bei Besuch einer Sonder- oder Förderschule entbehrlich würde (vgl BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 20/04 = BVerwGE 123, 316 = Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr 23).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Juni 2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte die Kosten für den Integrationshelfer/Schulbegleiter für das Schuljahr 2012/2013 i.H.v. 18.236,30 € zu tragen hat.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers/Schulbegleiters für den integrativen Besuch der Grundschule im Kreuzerfeld noch für die Schuljahre 2011/2012 - hier im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage - und für 2012/2013, die der Beklagte bislang vorläufig übernommen hat. Der Rechtsstreit wird im Wesentlichen um die Frage geführt, ob der Kernbereich der Schule betroffen ist.
Die 2002 geborene Klägerin ist bei Down-Syndrom geistig behindert. Bei ihr besteht eine Sprachentwicklungs- und motorische Entwicklungsverzögerung sowie eine Störung der Kommunikation und eine Feinmotorikschwäche (Ärztliches Zeugnis Dr. P. vom 21.7.2011, Bl. 5 Verwaltungsakte -VA-, Bericht Sozialpädriatisches Zentrum Universität T. vom 29.11.2011, Bd. I VA Sonderheftung). Der Grad der Behinderung beträgt 100, die Merkzeichen G und H sind festgestellt, die Pflegestufe I ist anerkannt. Die Klägerin besuchte zunächst 2 Schuljahre die integrative Außenklasse der Lindenschule (Schule für Geistigbehinderte) in der Grundschule S. Auf Wunsch der Eltern besucht sie seit dem Schuljahr 2010/2011 nochmals beginnend mit der 1. Klasse die K.schule (Regel-Grundschule). Das Staatliche Schulamt T. hatte bei ihr einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne der Schule für Geistigbehinderte festgestellt (bestandskräftige Bescheide vom 2.8.2010 und vom 3.5.2012, Bl. 2, 100 VA, zuletzt Bescheid vom 4.6.2013). Demnach kann die Förderung gemeinsam von der K. und der L. in R. übernommen werden. Förderort kann die K. sein. Dort wird sie im Rahmen einer inklusiven Beschulung mit dem Bildungsangebot nach dem Bildungsgang der Schule für Geistigbehinderte (gemeinsam zieldifferent) unterrichtet. Die sonderpädagogische Betreuung erfolgte dort an 5 (bzw. 6) Stunden pro Woche durch eine Kooperationslehrerin der L., der die Klägerin weiterhin organisatorisch zugehörig ist. Hiervon wurden 4 Stunden zur direkten pädagogischen Arbeit mit der Klägerin und 1 Stunde zur Besprechung mit der Grundschullehrerin genutzt (vgl. Bl. 116 SG-Akte). In den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 erhielt die Klägerin darüber hinaus keine weitere Unterstützung; im Schuljahr 2012/2013 wurde sie von Mitarbeiterinnen der Firma C.-Care gUG, der Beigeladenen zu 2. zusätzlich begleitet und unterstützt. Hierdurch fielen für die Zeit ab 12.11.2012 für 17 Stunden 15 Minuten pro Woche zu je 43 € Kosten in Höhe von 18.236,30 € an (s. Aufstellung Bl. 177 f LSG-Akte). Diese hat der Beklagte nach entsprechender Verpflichtung im (zweiten) einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7.11.2012 (L 7 SO 4186/12 ER-B, Bescheid vom 27.11.2012) vorläufig getragen.
Mit Bescheiden vom 30.11.2012 hat der Beklagte inzwischen einen Anspruch der Klägerin gegen das Staatliche Schulamt T. auf eine pädagogisch qualifizierte Schulbegleitung bis zur Höhe seiner Aufwendungen nach § 93 SGB XII für das Schuljahr 2012/2013 auf sich übergeleitet (vgl. Bl. 255, 256 VA)...