Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Elterngeld. ausländische NATO-Angehörige. NATOTrStat. Wohnsitz. Aufenthaltserlaubnis. Analogie zu § 1 Abs 7 BEEG
Orientierungssatz
1. Ausländische Angehörige der NATO-Streitkräfte sowie deren Ehegatten, die dem NATO-Truppenstatut (juris: NATOTrStat) unterliegen, haben analog § 1 Abs 7 BEEG trotz Fehlens einer förmlichen Aufenthaltserlaubnis bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen dieser Vorschrift einen Anspruch auf Elterngeld.
2. Art 3 Abs 1 S 2 Halbs 2 NATOTrStat (wonach NATO-Truppenmitglieder von den Bestimmungen des Aufnahmestaates über die Registrierung und Kontrolle von Ausländern befreit sind, jedoch zugleich keinerlei Recht auf ständigen Aufenthalt oder Wohnsitz in den Hoheitsgebieten des Aufnahmestaates erwerben) steht dem Vorhandensein eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG iVm § 30 Abs 3 SGB 1 nicht entgegen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10.03.2010 und der Bescheid der Beklagten vom 16.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Elterngeld in gesetzlicher Höhe für 12 Lebensmonate ab der Geburt ihrer Tochter J. N. (12.08.2009 bis 11.08.2010) zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Elterngeld von der Beklagten.
Die 1970 geborene Klägerin ist US-amerikanische Staatsangehörige und Mutter der 2006 geborenen M. I. und der 2009 geborenen J. N. Seit 1998 ist die Klägerin mit dem US-amerikanischen Staatsangehörigen J. D. verheiratet, der Mitglied einer in Deutschland stationierten Truppe der NATO-Streitkräfte gewesen ist. Die Eheleute hatten ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik von 2001 bis Ende 2011. Beide Kinder lebten in dieser Zeit im Haushalt der Eheleute in H. und wurden von der Klägerin betreut.
Die Klägerin war in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Geburt ihrer Tochter J. jahrelang versicherungspflichtig beschäftigt, vom 01.07.2002 bis 31.03.2008 bei der S. I. GmbH (H.) und ab dem 01.04.2008 bis zum Ende ihres Aufenthalts in Deutschland am 17.11.2011 bei der S. Deutschland AG & Co. KG als Business Senior Manager-Consulting; anschließend arbeitet sie seit dem 01.01.2012 für S. in den USA. Sie war während ihrer Zeit in der Bundesrepublik sozialversichert beschäftigt, privat kranken- und pflege(pflicht)versichert. Sie erhielt von der Familienkasse Kindergeld für beide Kinder.
Der Ehemann der Klägerin unterlag während der Zeit in der Bundesrepublik dem NATO-Truppenstatut (NATOTrStat, engl. NATO Status of Forces Agreement - NATO SOFA). Die Klägerin verfügte über eine sog SOFA-Card, die Angehörige erhalten, um dieselben Privilegierungen wie Truppenangehörige zu erhalten, insb von ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen befreit zu sein.
Am 29.10.2009 (Bl 25 Verwaltungsakte) beantragte die Klägerin bei der Beklagten Elterngeld für 12 Monate, zunächst ab dem 2. Lebensmonat, später korrigiert für den Zeitraum ab Geburt ihrer Tochter J. N. (12.08.2009 bis 11.08.2010).
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16.11.2009 ab (Bl 54 Verwaltungsakte). Die Klägerin sei weder deutsche Staatsangehörige noch Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz. Es fehle an einer Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige oder berechtigt habe. Ohne die entsprechende Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis habe sie daher keinen Anspruch auf Elterngeld.
Hiergegen legte die Klägerin am 08.12.2009 Widerspruch ein. Als Ehefrau eines Angehörigen der US-Armee sei auf sie das NATO-Truppenstatut anwendbar, weshalb sie keine Aufenthaltserlaubnis benötige. Gemäß § 9 Nr 13 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV) benötige sie als Angehörige eines Truppenangehörigen der NATO in Verbindung mit Art 6 Abs 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (BGBl 1961 Seite 1183, 1218) auch keine Arbeitserlaubnis. Sie bekomme daher auch keine extra Arbeitserlaubnis/Aufenthaltserlaubnis. Sie sei bereits acht Jahre versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und habe aufgrund Ihres Status als Ehefrau eines Angehörigen der US-Truppen sogar ein viel stärkeres Aufenthaltsrecht als andere in Deutschland tätige Ausländer, die auch berechtigt seien, Elterngeld zu empfangen. Sollte sie kein Elterngeld bekommen, stelle dies eine unzulässige Diskriminierung dar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2009 (Bl 69 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach § 1 Abs 7 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) sei ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer...