Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Verordnung von stationärer Krankenhausbehandlung wegen dringendem Behandlungsbedarf. Kostenerstattung. unaufschiebbare Leistung

 

Leitsatz (amtlich)

Verordnet der behandelnde Vertragsarzt wegen eines dringenden Behandlungsbedarfs eine stationäre Krankenhausbehandlung und wird diese Behandlung am dritten Tag nach der Ausstellung der ärztlichen Verordnung in einer nicht zugelassenen Privatklinik angetreten, hat die Versicherte einen Anspruch auf die Erstattung der in der Privatklinik entstandenen Kosten. In einem solchen Fall ist in der Behandlung eine unaufschiebbare Leistung iSd § 13 Abs 3 S 1 SGB V, aber kein Notfall iSd § 76 Abs 1 S 2 SGB V zu sehen, wenn sich die Versicherte vor Aufnahme der privatärztlichen Behandlung vergeblich um eine stationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus bemüht hat und die Krankenkasse ihr auf telefonische Nachfrage keine Klinik benennen konnte, in der die Versicherte umgehend hätte aufgenommen werden können.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.07.2015 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 7.495,60 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszins seit 28.10.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung iHv 7.775,60 € für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in einer Privatklinik.

Die 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Mai 2013 erkrankte sie an einer Gastroenteritis. Im Rahmen dieser Erkrankung exazerbierte eine bereits vorbestehende generalisierte Angsterkrankung. Nachdem die Klägerin bei mehreren Ärzten und in Krankenhäusern vorstellig geworden war, suchte sie im Juni 2013 Dr. S. auf, bei dem sie bis 2011 bereits eine Psychotherapie durchgeführt hatte. Unter dem 11.06.2013 verordnete Dr. S. Krankenhausbehandlung mit den Diagnosen exazerbierte Angststörung und akute Anorexie. Er riet zu einer Behandlung in der Universitätsklinik T.. Nachdem die Klägerin weder dort noch im Klinikum N. in C.-H. aufgenommen werden konnte und auch eine telefonische Anfrage des Ehemannes beim Diakoniekrankenhaus S. ohne Erfolg blieb, schlug Dr. S. eine Behandlung in der Privatklinik F. in T.-N. vor. Am 13.06.2013 nahm der Ehemann der Klägerin telefonisch Kontakt zur Beklagten auf und bat um Kostenübernahme für die stationäre Behandlung in der Klinik F.. In einer E-Mail vom gleichen Tag an die Beklagte führte der Ehemann der Klägerin aus: “Wie bereits erwähnt waren wir bereits vor Ort bei den umliegenden Krankenhäusern, die aber eine Wartezeit von ca 8-10 Wochen für eine Aufnahme nannten. … Da meine Frau in den letzten 4 Wochen ca 10 kg abgenommen hat und zZt ua auch nicht in der Lage ist dieses E-Mail zu schreiben, ist eine sofortige Klinikaufnahme zwingend erforderlich. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich täglich rapide. …In der Klinik F. wäre eine sofortige Aufnahme möglich. …„ Beigefügt war ein Befundbericht von Dr. S. vom 13.06.2013.

Die Beklagte übersandte unter dem 14.06.2013 eine Anfrage an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), ob eine sofortige Behandlung stationär durchgeführt werden müsse und bat um Benennung von Kliniken in Wohnortnähe. Der MDK führte aus, dass die akute klinische Verschlechterung einer Angststörung sowie einer Anorexie eine stationäre Krankenhausbehandlung erfordere. Die Behandlung sei in der örtlich zuständigen Psychiatrischen Fachklinik möglich und indiziert, hier bestehe Aufnahmepflicht. Eine Notwendigkeit zur Behandlung in einer Privatklinik sei sozialmedizinisch nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 21.06.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung nur in einem zugelassenen Krankenhaus bestehe.

Bereits am 14.06.2013 hatte die Klägerin die stationäre Behandlung in der Klinik F. begonnen. Unter dem 28.06.2013 übersandte die Klinik F. einen als Widerspruch überschriebenen Bericht über die stationäre Behandlung an den MDK mit den Diagnosen schwere depressive Episode mit somatoformen Beschwerden (F32.2), generalisierte Angststörung (F41.1) und Verdacht auf akute atypische Anorexie. Am 30.06.2013 legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Gutachten vom 25.07.2013 führte der MDK aus, die Notwendigkeit der Behandlung in einer Privatklinik könne nicht bestätigt werden. Ein medizinischer Notfall mit Gefahr für Leib oder Leben, bei dem ein Vertragskrankenhaus nicht zur Verfügung stehe, habe nicht vorgelegen. Vorrangig sei auf das Klinikum N. C.-H., evtl auch das Klinikum S. oder die Psychiatrische Universitätsklinik T. zu verweisen. Eine Versorgungslücke bestehe nicht, in der Klinik F. würden keinen besonderen Therapieformen vorgehalten. Der behandelnde Arzt hätte eine Aufnahme in die für den Wohnort zuständige Psychiatrische Fachklinik bewirken müssen. Auf Anfrag...

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