Entscheidungsstichwort (Thema)
Hörgeräteversorgung. Zuständigkeit einer gesetzlichen Krankenkasse als erstangegangener Sozialversicherungsträger. Festbetragsregelung. Sachleistungsverantwortung
Leitsatz (amtlich)
Die Krankenkasse kann schon dann erst angegangener Träger und damit für die Entscheidung über einen Anspruch auf Versorgung mit Hörgeräten zuständig sein, wenn der Versicherte vom Hörgeräteakustiker noch vor Vorlage einer kassenärztlichen Verordnung über den Leistungsanspruch, der jedenfalls gegenüber der Krankenkasse besteht und über die Höhe des Kassenanteils sowie etwaiger Eigenanteile beraten wird sowie die Hörgeräteversorgung eingeleitet wird (Anschluss an BSG vom 30.10.2015 - B 5 R 8/14 R = BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7, Juris).
Orientierungssatz
Die Festbetragsregelung im Hilfsmittelbereich enthebt die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage, die auch durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet ist, und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen ist (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2 und LSG Stuttgart vom 2.12.2011 - L 4 KR 5537/10).
Normenkette
SGB V §§ 36, 9 Abs. 1 S. 1, § 40 Abs. 4, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, §§ 33, 2 Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 1-2, § 13 Abs. 3 S. 1 Fall 2; SGB IX § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 5 Nrn. 1-2, § 6 Abs. 1 Nr. 4, §§ 31, 33 Abs. 8 S. 1 Nr. 4; SGB X §§ 44, 31, 37, 39 Abs. 1; SGB IV § 19 S. 1; SGB VI §§ 9, 15; SGG §§ 83, 77
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Oktober 2013 abgeändert.
Die Beigeladene wird unter Abänderung des Bescheids vom 19. April 2011 verurteilt, dem Kläger die über den Festbetrag hinausgehenden Kosten für die Hörgeräteversorgung mit zwei Hörgeräten der Marke Life 301 in Höhe von 1.668,00 € zu erstatten.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beigeladene hat dem Kläger 3/4 der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Beklagte hat dem Kläger 1/4 der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Die Beklagte, die Deutsche Rentenversicherung Bund, wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Erstattung von Kosten für die Hörgeräteversorgung (Erstversorgung) des Klägers, weil nicht sie, sondern die Beigeladene zuständig sei.
Der 1959 geborene Kläger, ein gelernter Fernmeldehandwerker, der seit 1. September 1974 bei der D. T. Technik GmbH als “Senior Incident Manager„ beschäftigt ist und seine Arbeit überwiegend telefonisch verrichtet (Telefonkonferenzen, Abstimmung mit Kollegen), leidet unter einem geringgradigen Hörverlust beidseits sowie einem Tinnitus, wobei eine “gewisse Sprachverständigkeitsminderung im Lärmbereich (Großraumbereich)„ vorliegt (HNO-Arzt B.).
Wegen der Hörstörungen erfolgten im Zeitraum von Mai bis Oktober 2010 Untersuchungen bzw. Behandlungen, so beim HNO-Arzt B. (am 14. Mai 2010 mit Erstellung eines Tonaudiogramms, Diagnosen: Innenohrhochtonschwerhörigkeit bds. und Tinnitus), im HELIOS Reha-Zentrum B-Klinik, Abteilung Hörstörung, Tinnitus, Schwindel (stationäre Behandlung vom 18. August bis 15. September 2010, Diagnosen u.a.: geringgradige Schwerhörigkeit beidseits, chronisch-komplexer Tinnitus aurium bds. [Heilverfahren-Entlassungsbericht ≪HV-EB≫ vom 8. Oktober 2010]) und im Rahmen einer arbeitsmedizinischen Untersuchung bei Dr. B. am 11. Oktober 2010 (Bericht für Arbeitgeber über die Vorsorgeuntersuchung - ärztlichen Bescheinigung - vom 12. Oktober 2010 [Bemerkungen für AG: Hörgerät nach Maßgabe des Akustikers am Arbeitsplatz erforderlich]).
Seine Arbeitgeberin bescheinigte dem Kläger am 2. November 2010 (“Bestätigung für Deutsche Rentenversicherung„), dass es für ihn im Rahmen seiner Tätigkeit notwendig sei, “häufig an Telefonkonferenzen, Meetings und Besprechungen - sowohl mit externen als auch mit internen Kunden - teilzunehmen„ und es in diesem Zusammenhang unabdingbar sei, dass er “Gesprächsinhalte in vollem Umfang verstehen„ müsse, weswegen eine Hörhilfe für ihn ausdrücklich befürwortet werde. In einem am 15. November 2010 gefertigten “Kurzbericht„ stellte der HNO-Arzt B. (auf Grund der Vorstellung am 14. Mai 2010) die Diagnosen Innenohrhochtonschwerhörigkeit bds. und Tinnitus aurium und vermerkte weiter, der Kläger sei über die “Möglichkeit einer Hörgeräteversorgung angesprochen„ worden.
Am 15. November 2010 wandte sich der Kläger dann an die Firma A. Deutschland GmbH (Fa. A.), Hörgeräteakustik, ohne dort ärztliche Unterlagen vorzulegen. Außer einer später am 2. Mai 2011 ausgestellten Verordnung des HNO-Arztes B. legte der Kläger dort auch danach keine weiteren ärztlichen Unterlagen vor. Auf Grund von dessen Vorsprache am 15. November 2010 wurden vo...