Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe. Verstoß gegen arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Entziehung der Fahrerlaubnis eines Berufskraftfahrers. grob fahrlässige Herbeiführung der Arbeitslosigkeit. Überschreitung der Punkteschwelle im Verkehrszentralregister. Irrtum über Punktestand
Leitsatz (amtlich)
1. Berufskraftfahrer haben gegenüber ihrem Arbeitgeber die ungeschriebene arbeitsvertragliche Nebenpflicht, jegliche Verkehrsverstöße zu unterlassen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen können.
2. Wird die Fahrerlaubnis eines Berufskraftfahrers wegen eines Verkehrsverstoßes mit einem weiteren Punkt im Verkehrszentralregister geahndet und daraufhin wegen Überschreitung der Punkteschwelle die Fahrerlaubnis entzogen, war für den Arbeitslosen bei einfachster Betrachtung erkennbar, dass bei einem weiteren Verkehrsverstoß der Verlust der Fahrerlaubnis und infolgedessen auch des Arbeitsplatzes drohte, so dass von grober Fahrlässigkeit im Sinne des Sperrzeitrechts auszugehen ist.
3. Die irrtümliche Annahme des Arbeitslosen, ein älterer Punkt sei inzwischen verfallen, so dass der neu hinzugetretene Punkt nicht zum Entzug der Fahrerlaubnis führen würde, ist insoweit irrelevant. Ein solcher Irrtum zeigt vielmehr, dass sich der Arbeitslose der Tragweite möglicher weiterer Verstöße durchaus bewusst war, er jedoch irrig davon ausging, sich noch weitere Verstöße erlauben zu können, bevor es zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommt. Insofern war sein Verhalten nicht von Einsicht geprägt, sein Verhalten im Straßenverkehr zu ändern, sondern belegt vielmehr das Unverständnis über den Sinn und Zweck des Punktesystems und seine grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Folgen weiterer Sorgfaltsverstöße. Zudem hätte der Arbeitslose selbst, wenn seiner Argumentation insoweit zu folgen wäre, sich zuvor bei der Fahrerlaubnisbehörde über seinen aktuellen Punktestand erkundigen können.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.03.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Sperrzeitbescheides wegen Arbeitsaufgabe.
Der im Jahr 1968 geborene Kläger war seit dem 01.10.2005 als Berufskraftfahrer bei der Firma H1 Transporte, W1, angestellt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis wegen Erreichen der Punktzahl für mindestens 6 Monate entzogen. Dem lagen folgende Verkehrsverstöße zu Grunde:
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Tattag |
Verkehrsverstoß |
Rechtskraft |
Punkte |
05.04.2018 |
Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 19 km/h |
27.07.2018 (Eintragung 07.08.2018) |
1 |
12.06.2018 |
Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 16 km/h |
13.09.2018 (Eintragung 25.09.2018) |
1 |
14.08.2018 |
Benutzen eines elektronischen Gerätes |
03.10.2018 (Eintragung 16.10.2018) |
1 |
28.02.2019 |
Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 18 km/h |
29.07.2019 (Eintragung 12.09.2019) |
1 |
14.10.2019 |
Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h |
25.02.2020 (Eintragung 09.03.2020) |
1 |
18.02.2020 |
Benutzen eines elektronischen Gerätes |
11.08.2020 (Eintragung 24.08.2020) |
1 |
30.03.2020 |
Benutzen eines elektronischen Gerätes |
16.06.2020 (Eintragung 27.06.2020) |
1 |
22.09.2020 |
Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h |
11.12.2020 (Eintragung 22,12.2020) |
1 |
Mit Schreiben vom 09.06.2017 wurde der Kläger bei einem Punktestand von 4 Punkten ermahnt. Mit den Schreiben vom 23.10.2018 und 22.07.2020 wurde der Kläger bei einem Punktestand von 6 Punkten verwarnt.
Mit Schreiben vom 29.01.2021 kündigte der Arbeitgeber des Klägers das Arbeitsverhältnis zum 01.02.2021 mit der Begründung, dass der Kläger ohne gültige Fahrerlaubnis seinen Beruf nicht mehr ausüben könne.
Der Kläger zeigte seine Arbeitslosigkeit am 01.02.2021 an und beantragte am 07.02.2021 die Gewährung von Arbeitslosengeld. Er gab als Grund für die Kündigung an, dass ihm die Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von 8 Punkten für mindestens 6 Monate entzogen worden sei. Er sei als Berufskraftfahrer angestellt und eine Weiterbeschäftigung ohne Fahrerlaubnis sei nicht möglich.
Mit Bescheid vom 25.02.2021 stellte die Beklagte den Eintritt der Sperrzeit für 12 Wochen vom 01.02.2021 bis zum 25.04.2021 fest. Es sei abzusehen gewesen, dass der Kläger seine berufliche Tätigkeit ohne Führerschein nicht mehr ausüben könne. Ein wichtiger Grund für sein Verhalten liege nicht vor.
Mit weiterem Bescheid vom 25.02.2021 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 26.04.2021 bis zum 03.04.2022 mit einem täglichen Leistungsbetrag von 48,68 €. Für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis zum 25.04.2021 betrug der tägliche Leistungsbetrag 0 €, da eine Sperrzeit von 12 Wochen bei Arbeitsaufgabe nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III fe...