Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelleistung. Zuschlag. Abzweigung. Selbstbehalt. Düsseldorfer Tabelle. Arbeitslosengeld II. Abzweigungsentscheidung. gesteigerte Unterhaltspflicht. Ermessen. Anwendbarkeit der Düsseldorfer Tabelle. keine Kürzung des Selbstbehalts wegen geringerer Unterkunftskosten
Leitsatz (amtlich)
Die gesteigerte Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB findet ihre Grenze dort, wo die Möglichkeit der Existenz des Unterhaltspflichtigen in Frage gestellt würde. Bei der Entscheidung über eine Abzweigung steht dem SGB II-Träger Ermessen zu. Er darf dabei schematisierte Werte zu Grunde legen. Die in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung überwiegend angewandte Düsseldorfer Tabelle eignet sich als Maßstab für eine pauschalierende Ermittlung des Selbstbehalts. Von dem darin genannten Betrag sind - auch in so genannten Mangelfällen - keine Abschläge - etwa wegen geringerer Unterkunftskosten - zu machen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Ablehnung einer Abzweigung von Sozialleistungen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch ≪SGB I≫).
Der 1969 geborene Beigeladene ist Vater der am ... 1991 geborenen Klägerin und hat an diese gemäß Beschluss des Amtsgerichts (AG) Karlsruhe vom 20. April 2001 (4 FH 161/01) ab 1. April 2003 monatlich 510,00 DM zu leisten. Für die Klägerin besteht eine Beistandschaft des Jugendamts der Stadt Karlsruhe.
Die Beklagte gewährte dem Beigeladenen ab 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2005 bezog der Beigeladene Leistungen in Höhe von 505,00 €, er wohnte in dieser Zeit mietfrei (Regelleistung 345,00 € + Zuschlag 160,00 €; Bescheid vom 16. Dezember 2004 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 21. Februar 2005). Wegen teilweiser Anrechnung anderweitiger Bedarfsdeckung durch Inhaftierung erhielt der Beigeladene für April 2005 Leistungen in Höhe von 286,50 € und für Mai 2005 in Höhe von 436,00 €. Ab Juni 2005 mietete der Beigeladene zusammen mit seinem 1985 geborenen Sohn D. H. eine Wohnung zu einer Kaltmiete von 475,00 € zuzüglich 70,00 € Nebenkosten an. Die Beklagte berücksichtigte hiervon für den Beigeladenen 232,50 € monatlich, entsprechend erhielt dieser im Juni und Juli 2005 Leistungen in Höhe von 737,50 €. Wegen anderweitiger Bedarfsdeckung im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme erhielt der Beigeladene für August 2005 Leistungen in Höhe von 701,27 € und für September 2005 in Höhe von 616,75 € (Bescheide vom 25. Juni 2005, 27. Juni 2005 und 20. Juli 2005). Ab Oktober 2005 halbierte sich der Zuschlag auf 80,00 €, mit Bescheid vom 12. September 2005 wurden dem Beigeladenen für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. März 2006 Leistungen in Höhe von 536,75 € monatlich bewilligt. Mit Bescheid vom 18. Januar 2006 erfolgte eine Absenkung für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2006 um monatlich 104,00 €. Mit Bescheid vom 6. März 2006 setzte die Beklagte die Leistungen für den Beigeladenen für April 2006 auf 473,50 € und für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 2006 auf 675,50 € fest.
Am 25. Februar 2005 beantragte der Beistand der Klägerin bei der Beklagten eine Abzweigung der von der Beklagten an den Beigeladenen gewährten Leistungen. Der Beigeladene sei der Klägerin zu Unterhaltszahlungen in Höhe von derzeit monatlich 284,00 € verpflichtet. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 27. Juni 2005 ab und führte aus, dass der Beigeladene die laufende Geldleistung zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts benötige und daher die Voraussetzungen für eine Auszahlung nach § 48 SGB I nicht erfüllt seien.
Am 8. Juli 2005 erhob der Beistand der Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass der dem Beigeladenen zu belassende notwendige eigene Lebensunterhalt durch die Gewährung der SGB II-Leistungen ohne den Zuschlag nach § 24 SGB II gedeckt sei. Dieser Zuschlag stehe in voller Höhe zur Auszahlung an das unterhaltsberechtigte Kind zur Verfügung. Dem Sozialleistungsträger stehe bei der Prüfung der Angemessenheit keinesfalls Ermessen zu, es könnten auch nicht die Pfändungsfreigrenzen des § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) herangezogen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I vorausgesetzte gesetzliche Unterhaltspflicht erfordere nach den dafür maßgebenden Bestimmungen des bürgerlichen Rechts nicht nur die Bedürftigkeit des jeweiligen Angehörigen, sondern auch die Fähigkeit des Leistungsberechtigten zu Unterhaltsleistungen. Vorliegend gelte zwar eine verschärfte Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), jedoch sei jede Unterhaltspflicht durch einen bestimmten Selbstbehalt für den eigenen notwendigen Bedarf...