Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges. Angewiesensein auf die Benutzung. Unentbehrlichkeit zum Erreichen der Eingliederungsziele. zumutbare Alternativen. Elektrorollstuhl. Öffentlicher Personennahverkehr. Geringe Entfernung zur Arbeitsstätte und Läden

 

Leitsatz (amtlich)

Sofern andere Möglichkeiten als die Benutzung des im Rahmen der Kfz-Hilfe begehrten Kfz zum Erreichen der vom Betroffenen benannten Eingliederungsziele zur zumutbaren Nutzung zur Verfügung stehen, ist die Anschaffung eines Kfz nicht unentbehrlich.

 

Orientierungssatz

Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sind nur dann zu erbringen, wenn die beantragte Eingliederungsmaßnahme als grundsätzlich geeignete Maßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist (vgl BSG vom 20.9.2012 - B 8 SO 15/11 R = BSGE 112, 67 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1).

 

Normenkette

SGB XII § 53 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 54 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 2, § 19 Abs. 3; SGB IX § 55; EinglHV § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 2 Nr. 11

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts K. vom 6. August 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Rahmen der Eingliederungshilfe Kostenersatz für die Anschaffung eines behindertengerecht umgebauten Kraftfahrzeugs.

Der verheirate Kläger und Vater von drei zum Teil volljährigen Kindern leidet an einer spastischen Spinalparalyse. Er kann nicht gehen oder stehen und ist seit 1990 auf den Rollstuhl angewiesen. Bei ihm ist der Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche B, H, G, aG ebenso wie die Pflegestufe 2 festgestellt. Er ist mit einem Falt- und einem Elektrorollstuhl ausgestattet.

Bis 2001 war der Kläger in Vollzeit bei den Stadtwerken in R. beschäftigt und ging dann krankheitsbedingt in den Vorruhestand. Seit Oktober 2002 arbeitet er dort noch geringfügig im Umfang von 5 Stunden pro Woche. Die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle beträgt 550 m.

Im Jahr 2003 hatte der Landeswohlfahrtsverband B. (Rechtsvorgänger des Beklagten) dem Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe ein auf seine Bedürfnisse umgebautes Kraftfahrzeug im Wert von über 68.000 € (Mercedes Vito) bereitgestellt (Bescheid vom 22.5.2003, Bl. 179 VA) und in der Folgezeit mehrfach Kosten für Inspektionen und Reparaturen der behindertengerechten Ausstattung übernommen.

Mit Schreiben vom 6.2.2012 wies der Kläger den Beklagten darauf hin, dass erneut eine Reparatur anstehe, deren Kosten in etwa dem Zeitwert des Fahrzeugs entspreche. Er beantragte die Bewilligung eines Neufahrzeugs. Den Antrag leitete der Beklagte zunächst an die Agentur für Arbeit K. weiter, entschied dann aber doch in eigener Zuständigkeit und erklärte mit Schreiben vom 16.3.2012 die Weiterleitung für gegenstandslos. Mit Bescheid vom 9.3.2012 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für die Neubeschaffung eines Kraftfahrzeugs ab. Zur Begründung führte er aus, aus der Orientierung an der Teilhabe am Arbeitsleben in § 8 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHVO) folge, dass der behinderte Mensch regelmäßig - wie bei einer vor allem vollschichtigen Tätigkeit erforderlich - auf das Kfz angewiesen sein müsse. Zur Ausübung seines Minijobs sei der Kläger nicht auf die tägliche Benutzung des Kfz angewiesen. Den Arbeitsweg von nur 550 m könne er auch mit dem Rollstuhl bzw. mit dem öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) von der nur 200 m entfernten Bushaltestelle zurücklegen. Auch zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei ein Kfz nicht erforderlich, da der Kläger in R. wohne, den ÖPNV nutzen könne und aufgrund der Feststellung einer Pflegestufe auch Fahrten zu Ärzten und Therapien wahrnehmen könne. Außerdem liege die Wohnung nur wenige 100 m von der nächsten Einkaufsmöglichkeit und der Stadtmitte entfernt, so dass die Nahversorgung gesichert sei. Erforderliche Fahrten könnten durch die Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes im Landkreis K. ergänzend sichergestellt werden. Die Absicht, Frau und Familie durch einen Beitrag zur Versorgung des Haushalts zu entlasten, rechtfertige ebenso wenig die Kraftfahrzeughilfe wie der Aspekt der Pflege familiärer und freundschaftlicher Beziehungen (Bl. 1025 VA).

Mit weiterem Bescheid vom 9.3.2012 lehnte der Beklagte die Kostenübernahme für die Reparatur des vorhandenen Kfz aus wirtschaftlichen Erwägungen ab.

Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und führte aus, dass er mit seinem Elektrorollstuhl den ÖPNV nicht nutzen könne, weil die Haltestellen keine erhöhten Einstiegsrampen hätten. Einen Behindertenfahrdienst gebe es in R. nicht.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.6.2012 zurück. Zum Erreichen des Arbeitsplatzes sei die Versorgung mit dem Elektrorollstuhl ausreichend. Bei einem Arbeitsumfang von 5,3 Stunden pro Woche müsse er zudem nicht jeden Wochentag am Arbeitsplatz anwesend sein. Wie aus der ...

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