Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Assistenzhund bei posttraumatische Belastungsstörung. Sicherung des Erfolgs einer neuen Behandlungsmethode. Sperrwirkung des Methodenbewertungsvorbehalts gem § 135 Abs 1 S 1 SGB 5)
Leitsatz (amtlich)
Soweit die Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund iSv § 33 Abs 1 S 1 SGB V zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung beitragen soll, steht dem derzeit die Sperrwirkung des Methodenbewertungsvorbehalts nach § 135 Abs 1 S 1 SGB V entgegen (neue Behandlungsmethode).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. März 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für die Anschaffung und Ausbildung eines Assistenzhundes in Höhe von 16.800,00 € sowie die Übernahme der Haltungskosten.
Bei der 1988 geborenen, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Klägerin wurden nach schweren, über Jahre andauernden Akten familiärer und sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend insbesondere eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1; PTBS) sowie eine höhergradige dissoziative Störung, Ego-State-Disorder (F44.9; Dissoziative Identitätsstörung) diagnostiziert. Sie befand sich bereits seit mehreren Jahren in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung.
Den am 1. März 2018 gestellten Antrag der Klägerin (Schreiben vom 16. Februar 2018) auf Übernahme von Anschaffungs-, Ausbildung- und Haltungskosten für einen PTBS-Assistenzhund lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2018 ab, da ein Therapiehund kein zugelassenes Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Der Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Am 13. Juli 2018 schloss die Klägerin mit R1 (im Folgenden R), Deutsches Assistenzhunde-Zentrum, Standort D1, einen „Vertrag über einen Assistenzhund“ (AHV), in dem sich R gegen einen Gesamtpauschalpreis in Höhe von 24.400,00 € verpflichtete, der Klägerin für deren Erkrankungen PTBS und Dissoziative Identitätsstörung einen Assistenzhund zu besorgen, gemäß der Standards für Assistenzhunde des Deutschen Assistenzhunde-Zentrums auszubilden, zu übereignen und einzuarbeiten. Wegen der weiteren vertraglichen Regelungen wird auf Bl. 81/86 der Senatsakte Bezug genommen.
Die 18-monatige Ausbildung zum Assistenzhund umfasste neben allgemeinen Standards (Leinenführigkeit, Fußlaufen in allen Situationen etc.) insbesondere spezielle Assistenzhund-Aufgaben (Sicherheitgeben durch Körperkontakt in verschiedenen Situationen und Positionen; Blocken fremder Passanten; Herausführen aus einem Gedränge an einen ruhigen Ort; Erkennen und Unterbrechen emotionaler Notsituationen mit anschließender Beruhigung). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausbildungsbescheinigung der R vom 16. Januar 2024 (Bl. 87 der Senatsakte) Bezug genommen. Die Ausbildung wurde am 28. Februar 2020 erfolgreich abgeschlossen.
Den binnen sieben Wochen nach Vertragsunterzeichnung geschuldeten Teilbetrag in Höhe von 7.600,00 € übernahm der Fonds Sexueller Missbrauch des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Den Restbetrag zahlte die Klägerin.
Am 24. August 2018 legte die Klägerin der Beklagten eine ärztliche Verordnung des Zentrums für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 21. August 2018 über einen PTBS-Assistenzhund mit der Diagnose einer PTBS sowie einen Kostenvoranschlag vor.
Unter dem 29. August 2018 leitete die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme an das Landratsamt L1 als Träger der Eingliederungshilfe weiter, was diese im Hinblick auf den bereits mit Schreiben vom 26. Februar 2018 gestellten Antrag als verspätet und im Hinblick auf dessen Bescheidung durch die Beklagte als unzulässig zurückwies.
Auf das in der Folge als Widerspruch gewertete Schreiben der Klägerin vom 24. August 2018 veranlasste die Beklagte ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Unter dem 24. Oktober 2018 kam S1 in diesem aufgrund der vorgelegten Verordnung zur Einschätzung, dass die medizinischen Voraussetzungen der Leistung nicht erfüllt seien. Ein Begleithund im Sinne eines Assistenzhundes sei kein Hilfsmittel entsprechend dem Hilfsmittelverzeichnis nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Es handle sich nicht um ein allgemein anerkanntes Hilfsmittel. Für Assistenzhunde gebe es keine vergleichbar geregelte Ausbildung und Prüfung wie bei Blindenhunden. Die Grundbedürfnisse wie Essen, Stehen, Gehen etc. würden im vorliegenden Fall auch ohne Hund erfüllt. Der Hund werde allein für die Funktion als Begleithund ausgebildet. Assistenz- oder Therapiehunde würden zunehmend in der Behandlung psychischer Störungen eingesetzt. Dabei handle es sich jedoch nicht um eine anerkannte Behandlungsmethode. Von einer lebensbedrohlichen Erkrankung könne bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus stehe für diese eine psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung ...