Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. außergewöhnliche Gehbehinderung. Gleichstellung mit den in Abschn 2 Nr 1 zu § 46 Nr 11 StVOVwV genannten Personen. schmerzhafte Gehstrecke. Notwendigkeit von Pausen. Versorgungsmedizinische Grundsätze. neue Verordnungsermächtigung. Übergangsrecht. keine Rückwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Mit der Übergangsregelung des § 159 Abs 7 SGB 9 (idF vom 7.1.2015) ist wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut die Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" geschaffen worden. Danach sind vorübergehend bis zum Erlass der neuen, auf § 70 Abs 2 SGB 9 beruhenden Verordnung die Bewertungsmaßstäbe der bisherigen VG Teil D unmittelbar als gesetzliche Regelung anzuwenden (so auch der 6. Senat des LSG Stuttgart vom 21.4.2015 - L 6 SB 3121/14; offen lassend der 3. Senat des LSG Stuttgart vom 13.5.2015 - L 3 SB 1100/14 - beide unveröffentlicht).

Diese Rechtsgrundlage für die Feststellung der Merkzeichen nach Vorgabe der VG Teil D entfaltet keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.1.2015 wirksam (Fortführung des Senatsurteils vom 23.7.2010 - L 8 SB 3119/08).

 

Orientierungssatz

Eine schmerzhafte Gehstrecke (hier ua aufgrund eines chronischen Schmerzsyndroms), selbst wenn dadurch kurze Erholungspausen notwendig sind, ist nicht mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung gleichzusetzen.

 

Normenkette

SGB IX § 159 Abs. 7, § 69 Abs. 1 S. 5, Abs. 4, § 70 Abs. 2; BVG § 30 Abs. 16, 17 Fassung: 2007-12-13; VersMedV § 2 Anl. Teil D Nr. 3; SchwbAwV § 1 Abs. 4, § 3 Abs. 1 Nr. 1; StVG § 6 Abs. 1 Nr. 14; SGG § 118 Abs. 1 S. 1; ZPO § 412 Abs. 1

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.12.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs “aG„ (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.

Bei dem 1951 geborenen Kläger waren zuletzt mit Bescheid des Landratsamtes B. - Versorgungsamt - (LRA) vom 16.09.2008 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 seit dem 23.07.2008 sowie das Merkzeichen “G„ festgestellt worden:

- Hüftgelenksendoprothese links, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke bei degenerativen Gelenkveränderungen, arterielle Verschlusskrankheit beider Beine und Polyneuropathie (Teil-GdB 40),

- Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) (Teil-GdB 30),

- Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) und

- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und operierter Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20) (Bl. 81 bis 84 der Verwaltungsakte).

Der Kläger beantragte beim LRA am 08.12.2010 die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung des Merkzeichens “aG„. Zur Begründung verwies er auf ein künstliches Hüftgelenk, fünf Bandscheibenoperationen, eine Polyneuropathie sowie eine Stentimplantation im Bein. Er fügte seinem Antrag einen Arztbrief des Facharztes für Neurochirurgie und Spezielle Schmerztherapie Dr. W. vom 06.05.2010 bei (Diagnosen: chronisch neuropathische Schmerzen, chronische Schmerzen, Diabetes mellitus insulinpflichtig, diabetische Polyneuropathie, arterielle Verschlusserkrankung Grad II, diabetische Angiopathie, Radikulopathie L5/S1, Claudicatio intermittens, Ischämieschmerz, chronische Schmerzen Stadium III nach Gerbershagen, S1-Syndrom links und laterale Bandscheibenprotrusion L5/S1 links) (Bl. 88 bis 92 der Verwaltungsakte).

Das LRA zog einen Entlassungsbericht der zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 04.06.2010 bis 25.06.2010 in der Rehaklinik H. in B. durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme, einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 21.12.2010, einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Herr Wi. vom 25.05.2010 sowie einen Arztbrief des Abteilungschefarztes der Abteilung Angiologie des Herzzentrums Bad K. Prof. Dr. Z. vom 03.05.2010 bei (Bl. 95/105 und 108/111 der Verwaltungsakte).

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.01.2011 bei Prof. Dr. Wa. , welcher den Gesamt-GdB mit 80 bewertete und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens “aG„ verneinte, stellte das LRA mit Bescheid vom 26.01.2011 einen GdB von 80 seit dem 08.12.2010 fest. Das Merkzeichen “G„ blieb festgestellt. Die Feststellung des Merkzeichens “aG„ lehnte das LRA ab (Bl. 112/113 und 114/115 der Verwaltungsakte).

Dagegen legte der Kläger am 31.01.2011 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortrug, ihm stehe das Merkzeichen “aG„ aufgrund ständiger Schmerzen im linken Fuß zu, welche zunähmen, wenn er weitere Strecken laufen müsse. Ferner verwies er auf sein künstliches Hüftgelenk links.

Nach Beiziehung eines Befundscheins des Neurochirurgen und Speziellen Schmerztherapeuten Dr. W....

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