Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. Arzt. Mitgliedschaft in berufsständischer Versorgungseinrichtung. ausgeübte Tätigkeit im Rahmen von Softwareentwicklung und -vertrieb ist keine berufsspezifische ärztliche Tätigkeit. Betriebsprüfung. Bindungswirkung der Entscheidung des Versorgungswerks. Medizinisches Fachwissen. Entwicklung von Medizinprodukten
Orientierungssatz
Die Tätigkeit eines Arztes im Rahmen von Softwareentwicklung und -vertrieb stellt keine für die Berufsgruppe der Ärzte spezifische Tätigkeit dar, für die die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs 1 SGB 6 vorliegen. Allein die Anwendung von medizinischem Fachwissen macht die ausgeübte Beschäftigung nicht zu einer ärztlichen Tätigkeit. Eine Vertriebstätigkeit wird allein dadurch, dass sie von einem approbierten Arzt ausgeübt wird, nicht zu einer ärztlichen Tätigkeit. Nicht jeder Arzt, der seine medizinischen Fachkenntnisse verwertet, arbeitet auch berufsgruppenspezifisch. Gleiches gilt auch für die Tätigkeiten im Rahmen der Entwicklung von Softwareprogrammen. Auch hier führt der Einsatz des medizinischen Fachwissens nicht zur Qualifizierung der Tätigkeit als ärztliche Tätigkeit, sondern die ausgeübte Beschäftigung verbleibt im Berufsbild der Produktentwicklung verhaftet.
Normenkette
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, 5, § 1 S. 1 Nr. 1; SGB IV § 28p Abs. 1; BÄO § 2 Abs. 5; MBO-Ä § 1 Abs. 2; MPG § 3 Nr. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.08.2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kostenentscheidung aufgehoben wird.
Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 131.155,16 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Nachforderung der Beklagten von Beiträgen zur Rentenversicherung in Höhe von 131.155,16 € für die Beschäftigung der Beigeladenen Ziff. 1 bis 5 im Zeitraum vom 01.12.2001 bis zum 31.12.2005. Im Streit steht die Frage, ob die Beigeladenen als Ärzte für die Beschäftigung bei der Klägerin nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wegen der Zugehörigkeit zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit waren.
Die Klägerin entwickelt und vertreibt medizinische Informationssysteme für das Gesundheitswesen, insbesondere Software zur administrativen und medizinischen Datenerfassung und -auswertung für Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken. Die Klägerin beschäftigte in dem hier maßgeblichen Zeitraum die beigeladenen approbierten Ärzte. Diese gehörten nach den Angaben der Klägerin zu etwa 40 Projektmitarbeitern, die neben den 80 Softwareentwicklern den wesentlichen Teil der produktiven Mitarbeiter der Klägerin stellten. Sie waren sowohl im Entwicklungsbereich als auch in der Kundenberatung einschließlich der Anpassung und Einrichtung der Produkte auf den individuellen Kundenbedarf tätig. Für die Klägerin war das ärztliche Fachwissen der Beigeladenen das maßgebliche Einstellungskriterium.
Die Beigeladenen waren wie folgt bei der Klägerin beschäftigt:
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Beigel. Ziff. 1 Dr. M. S. vom 01.11.2000 über den 31.12.2005 hinaus |
Beigel. Ziff. 2 Dr. R. T. vom 01.10.2002 bis 31.12.2003 |
Beigel. Ziff. 3 Dr. N. S. vom 01.10.2000 über den 31.12.2005 hinaus |
Beigel. Ziff. 4 Dr. C. N. vom 01.03.2000 bis 30.09.2004 |
Beigel. Ziff. 5 Dr. I. S. vom 01.10.2001 bis 31.01.2003. |
Aufgrund einer Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 01.12.2001 bis zum 31.12.2005 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 20.12.2006 eine Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe von 144.388,16 € fest und forderte die Klägerin zur Zahlung auf. Der Betrag enthielt Beiträge zur Rentenversicherung für die Beigeladenen Ziff. 1 bis 5 in Höhe von 131.155,16 € sowie Beiträge zur Krankenversicherung für eine weitere Mitarbeiterin (13.233,00 €). Letztere sind zwischen den Beteiligten unstreitig.
Zur Begründung der nachgeforderten Rentenversicherungsbeiträge wurde ausgeführt, die Prüfung habe ergeben, dass mehrere Personen, die als Ärzte von der Rentenversicherungspflicht befreit worden seien, nunmehr unbefristete Tätigkeiten bei der Klägerin ausübten, welche nicht mehr oder nicht in vollem Umfang dem Berufsbild eines Arztes entsprechen würden. Diese Personen übten eine Beschäftigung als Produkt- bzw. Projektmanager aus und damit eine andere Tätigkeit als diejenige, die der Befreiungsentscheidung zugrunde gelegen habe. Die Befreiung von der Versicherungspflicht erstrecke sich ausnahmsweise nur dann auf eine andere Beschäftigung, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sei und das berufsständische Versorgungswerk für diese Zeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleiste. Ein solcher Sachverhalt liege hier jedoch nicht vor.
Die Klägerin erhob am 22....