Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschädigtenversorgung. § 4 Häftlingshilfegesetz. § 21 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz. Rangfolge der Anspruchsgrundlagen. posttraumatische Belastungsstörung. Haft in der ehemaligen DDR. ursächlicher Zusammenhang. Beweismaßstab
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Rangverhältnis der Anspruchsgrundlagen nach § 4 HHG und § 21 StrRehaG.
2. Auch bei einer Haft in der ehemaligen DDR unter den besonderen Bedingungen, wie sie nach 1955 geherrscht haben, muss für eine PTBS über die bloße Haft hinaus eine unmittelbar lebensbedrohliche Situation bestanden haben, die bei nahezu jedermann Entsetzen oder große Verzweiflung auslösen würde.
Orientierungssatz
Zu der Entstehung und den Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. November 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Folge erlittener Haft in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
Der 1923 in Q. geborene Kläger war nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach eigenen Angaben zunächst ab etwa 1946 in der Stadtverwaltung Q. und später als Einkaufsleiter in einem volkseigenen Betrieb beschäftigt (vgl. hierzu Notaufnahmebescheinigung vom 22.02.1957 und zum Folgenden Gutachten Prof. Dr. St. vom 24.10.2011). Er sei von 1946 bis 1949 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED) gewesen. 1946 habe er ein erstes Mal geheiratet. Nach vier Wochen Ehe sei seine Frau mit der gemeinsamen Tochter plötzlich verschwunden. 1948 habe er ein zweites Mal geheiratet. Aus dieser Ehe seien seine 1948 geborene Tochter und sein 1953 geborener Sohn hervor gegangen. Die Ehe sei 1984 geschieden worden. In dritter Ehe sei er seit 1985 mit einer früheren kaufmännischen Angestellten aus Ungarn verheiratet. Gemeinsame Kinder hätten sie nicht. 1955 habe er jemanden in einem Flüchtlingslager in Westberlin besucht. Nach seiner Rückkehr in den Osten sei er als feindlicher Agent verhaftet worden.
Der am 10.03. verhaftete und am 13.03.1955 in Untersuchungshaft genommene Kläger wurde durch Urteil des Bezirksgerichts Halle vom 24.05.1955 wegen Verbrechens nach Art. 6 der Verfassung der Sowjetzone i. V. m. einem Vergehen nach Kontrollratsdirektive 38 Abschnitt II Art. III A III zu einer Strafe von 3 Jahren Zuchthaus und den obligatorischen Sühnemaßnahmen auf die Dauer von 5 Jahren verurteilt (Bl. 79 d. B-Akte). Er war vom 10.03.1955 bis 15.02.1957 in den Haftanstalten der ehemaligen DDR in Q., Halle, Coswig, Torgau und Volkstedt inhaftiert (Bl. 77 d. B-Akte). Nach seiner vorzeitigen Entlassung am 15.02.1957 folgte der Kläger seiner Familie am 16.02.1957 in die Bundesrepublik Deutschland. Wegen der Hafterfahrungen war der Kläger nach eigenen Angaben nicht in psychiatrischer Behandlung (Bl. 159 B-Akte)
Mit Bescheinigung vom 04.04.1957 stellte das Landratsamt Hochschwarzwald gemäß § 10 Abs. 4 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden, (Häftlingshilfegesetz [HHG]) fest, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen der §§ 1 und 9 HHG vorliegen und Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben sind (Bl. 77 d. B-Akte). Auf Antrag des Klägers wurde mit Schreiben des Generalstaatsanwaltes vom 12.07.1957 die Strafvollstreckung aus dem Urteil des Bezirksgerichts Halle vom 24.05.1955 gemäß § 15 des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen (RHG) für unzulässig erklärt (Bl. 79 d. B-Akte).
In der Bundesrepublik Deutschland war der Kläger insgesamt 28 Jahre bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg beschäftigt, zuletzt als Leiter der Beratungsstelle in F., und ging 60-jährig in den Vorruhestand.
Im April 1957 machte der Kläger wegen seiner Haftzeit in der ehemaligen DDR und dadurch hervorgerufener Herzbeschwerden, Sehstörungen und einer allgemeinen Nervosität Versorgungsansprüche nach dem HHG geltend. Nach Ablehnung des Antrags auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Zurückweisung des Widerspruchs (Bescheid vom 06.03.1958 und Widerspruchsbescheid vom 02.05.1958) erhob der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart Klage, die durch Urteil vom 15.01.1959 abgewiesen wurde (S 7 V 1962/58). Das Gericht schloss sich der versorgungsärztlichen Stellungnahme an, wonach der Kläger nicht an einem organischen Herzschaden und auch nicht an einer Blutdruckerhöhung leide. Die Schilddrüsenvergrößerung sei nicht als Folge der Haftzeit, sondern als schicksalsmäßige Entwicklung anzusehen. Für das Auftreten der Kopfschmerzen sei der im Kindesalter erlittene Schädelbruch verantwortlich.
Am 18.09.1980 beantragte der Kläger erstmals wegen eines 1930/1931 erlittenen Autounfalls mit doppeltem Schädelbruch und Gehirnerschütterung, schweren Schlafstörungen, Zuckungen am ganzen Körper sowie Niere...