Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Kostenübernahme für eine systemische Bewegungstherapie. kein Vorrang sonderpädagogischer Förderung durch die Schule. keine Zuordnung zum Kernbereich pädagogischer Arbeit. ergänzende Leistung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Übernahme der Kosten für die systemische Bewegungstherapie bei einem schwer behinderten Kind kann als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung iS von § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12 iVm § 12 Nr 1 EinglHV (juris: BSHG§47V) zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören.
2. Die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die systemische Bewegungstherapie ist nicht bereits deshalb durch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe im Hinblick auf eine Zuständigkeit der Schule ausgeschlossen, weil diese Therapieform auch (heil-)pädagogische Elemente enthält. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Maßnahme dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer iS des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule zuzuordnen ist; auch unter Berücksichtigung der Änderung der schulrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit einer zunehmenden integrativen Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher kann daneben ein ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Dezember 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, dem Kläger Leistungen der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die durch Frau Sch. durchgeführte systemische Bewegungstherapie ab dem 1. Januar 2008 in tatsächlich entstandener Höhe sowie ab dem 23. Februar 2012 im Umfang von bis zu zwei Stunden wöchentlich, jeweils ohne Anrechnung des Einkommens und Vermögens der Eltern zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten einer systemischen Bewegungstherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der am … 1996 geborene Kläger ist seit seiner Geburt am Lowe-Syndrom erkrankt. Dabei handelt es sich um eine schwere Stoffwechselerkrankung, die nicht heilbar ist. Es liegen eine hochgradige beidseitige Sehbehinderung, eine geistige Behinderung, ein hirnorganisches Anfallsleiden, eine chronisch kompensierte Niereninsuffizienz, eine allgemeine Muskelhypotonie, eine stato- und psychomotorische Entwicklungsstörung, eine Sprachentwicklungsstörung sowie ein Zustand nach Linsenentfernung beider Augen bei Katarakt beidseits vor.
Seit dem Jahr 2000 übernahm der Beklagte bis zum 31. Juli 2004 die Kosten der systemischen Bewegungstherapie, die Frau Sch., Diplompädagogin / Diplom-Sportpädagogin/ Familientherapeutin in Sch., je einmal wöchentlich durchführte. Die Kosten für eine Behandlungseinheit beliefen sich zuletzt auf 43,35 Euro. Nachdem der Kläger zuvor den Waldorfkindergarten besucht hatte und für seinen Integrationsbedarf vom Beklagten Eingliederungshilfe erhalten hatte, wurde er zum Schuljahr 2004/2005 in der Freien Waldorfschule E. (jetzt: Integrative Waldorfschule E.) eingeschult. Das Staatliche Schulamt Freiburg stimmte der Erfüllung der Schulbesuchspflicht in dieser Schule zu und stellte mit Bescheid vom 8. Juli 2004 die Schulbesuchspflicht im Sinne der Schule für geistig Behinderte fest. Das dafür anfallende Schulgeld in Höhe von zuletzt monatlich 235,05 € übernahm bzw. übernimmt der Beklagte im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die Integrative Waldorfschule E. beschulte den Kläger zunächst im Rahmen des befristeten Schulversuchs “Integratives Schulentwicklungsprojekt zur gemeinsamen schulischen Förderung von Schülern mit geistiger Behinderung und nichtbehinderten Schülern„. Seit dem Jahr 2009 ist die Schule als Ersatzschule mit integrativer Beschulung von bis zu vier sonderschulpflichtigen Kindern pro Klasse anerkannt. Der Unterricht erfolgt gemeinsam durch eine Lehrkraft und eine Heilpädagogin mit Unterstützung durch einen Integrationshelfer/eine Integrationshelferin.
Hinsichtlich der Weitergewährung der Kostenübernahme für die systemische Bewegungstherapie vertrat der Beklagte ab dem Zeitpunkt des Schulbesuchs des Klägers die Auffassung, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern des Klägers seien nunmehr zu berücksichtigen (Schreiben vom 16. September 2004). Da die Eltern in der Folge keine Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen machten, lehnte der Beklagte die weitere Kostenübernahme für die systemische Bewegungstherapie bindend ab (Bescheid vom 15. November 2004, Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2005).
Seit der Einschulung (August 2004) bis zum Beginn des vierten Schuljahres (2007/2008) erhielt der Kläger keine systemische Bewegungstherapie mehr. Allerdings gab es sporadische Kontakte zwischen der Therapeutin Frau Sch. und d...