Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Antragstellung bei der Krankenkasse unter Verwendung der Antragsvordrucke des Rentenversicherungsträgers. Anspruch auf eine konkrete stationäre medizinische Rehabilitationsleistung nur bei Ermessensreduzierung auf Null
Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt ein Rehabilitationsträger einen Antrag für einen anderen Rehabilitationsträger auf (zB auf dessen Antragsvordrucken), ist er nicht erstangegangener Rehabilitationsträger. Die Stellung des Antrags "über die Krankenkasse" an den Rentenversicherungsträger ist daher als Antrag bei diesem zu verstehen.
2. Begehrt der Versicherte konkret eine stationäre medizinische Rehabilitation, erfordert dies eine Ermessensreduktion auf Null.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 01.08.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitation.
Der 1962 geborene Kläger ist gelernter Werkzeugmacher und als Presseführer bei einem Automobilhersteller im Schichtdienst beschäftigt; er ist gesetzlich (pflicht-)krankenversichert. Seinen Antrag auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme von Mitte November 2016 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2017 und der Begründung ab, dass weder eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit noch eine Rehabilitationsindikation vorliege.
Mitte Januar 2020 befand sich der Kläger bei Zustand nach (Z.n.) Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) mit Dilatation der Jejunogastrostomie im August 2019, Z.n. Kardiaresektion mit Rekonstruktion der Ösophaguspassage nach Merendino im Mai 2019, Z.n. großer Hiatushernie mit kompletter Netz-Migration und Nissen-Fundoplicatio im Mai 2007, Z.n. Rezidivhernie im Dezember 2009 und Umwandlung in Toupet sowie bei Z.n. Re-Re-Fundoplicatio und Netzimplantation bei erneutem Rezidiv im Jahr 2011 zur diagnostischen Ösophagogastroskopie bei H/B (des A-M-Krankenhauses) in F. Die Ärzte konnten intraoperativ keine Stenose feststellen, sodass eine Dilatation nicht durchgeführt werden musste. Der Kläger wurde bei begonnenem, gut vertragenem Kostaufbau und mit der Empfehlung entlassen, auf ein gutes Kauen bei der Nahrungsaufnahme zu achten. Bei Beschwerdepersistenz sei eine Barium-Sandwich-Untersuchung sinnvoll (s. zu allem Entlassungsbericht vom 23.01.2020, S. 70 ff. VerwA).
Am 18.03.2020 beantragte der Kläger mit dem Vordruck der Beklagten („G0100“) „über die Krankenkasse“ (s. S. 140 VerwA) - die AOK N, die den Antrag entgegennahm und an die Beklagte sandte (dortiges Eingangsdatum: 30.03.2020, S. 143 VerwA) - erneut eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme, wobei er auf seine Merendino-Operation im Jahr 2019 und auf seine Essstörung („Barium-Sandwich“) verwies. Im hausärztlichen Befundbericht vom 23.03.2020 (S. 59 f. VerwA) wurden zudem Rückenschmerzen genannt und die Auffassung vertreten, dass mit einer Rehabilitationsmaßnahme Funktionseinschränkungen beseitigt, die Zukunftsperspektive des Klägers sowie seine berufliche Belastungsfähigkeit geklärt, eine Ernährungshilfestellung gegeben bzw. eine Besserung der Nahrungsaufnahme und der Rückenschmerzen sowie eine seelische Stabilisierung erreicht werden könne. Nach Auswertung der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen wies S in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.04.2020 (S. 75 VerwA) darauf hin, dass eine Rehabilitationsmaßnahme nicht erforderlich, sondern eine Krankenbehandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend sei. Darauf gestützt lehnte die Beklagte den Rehabilitationsantrag des Klägers mit Bescheid vom 16.04.2020 ab; ein Rehabilitationsbedarf ergebe sich auch nicht nach den Leistungsgesetzen eines anderen Rehabilitationsträgers.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren äußerte sich der Hausarzt des Klägers, D, dahingehend (Schreiben an die Beklagte vom 18.05.2020, S. 19 VerwA), dass die Erforderlichkeit einer Rehabilitationsmaßnahme von ihm wegen der massiven Abdominalschmerzen des Klägers bei sekundär dann schweren Essstörungen begründet worden sei. Indes würden die organischen Leiden massiv psychisch überlagert, sodass eine Arbeitstätigkeit nur inkomplett gegeben sei. Es werde eine psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme und „ggf.“ die Vorstellung bei einem Arzt für Psychosomatik empfohlen. In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 05.06.2020 (S. 76 VerwA) führten S und S1 aus, dass eine Abklärung der psychischen Komponente bzw. eine entsprechende Behandlung des Klägers bisher nicht erfolgt sei; dies sei gegenüber einer Rehabilitationsmaßnahme vorrangig.
Vom 06. bis 07.07.2020 befand sich der Kläger ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichts vom 13.07.2020 (S. 13 f. VerwA) zur Gastroskopie und Barium-Sandwich-Untersuchung erneut in s...