Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Maßstäbe für die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG in Verfahren über Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung. Amtsermittlungsgrundsatz. Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle in Folge der Anwendung von § 84 VVG
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen eines Verfahrens über Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung gelten für die Einholung eines Gutachtens nach Maßgabe von § 109 SGG keine anderen Maßstäbe als für die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen. Die Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle in Folge der Anwendung von § 84 VVG im Rahmen von Amts wegen durchzuführender Ermittlungen gilt daher entsprechend auch für die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Begutachtung nach § 109 SGG gegeben sind.
Orientierungssatz
Für eine gerichtliche Sachverhaltsaufklärung zur Frage des Umfangs des Pflegebedarfs, zB durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, besteht nur dann Veranlassung, wenn und soweit ein nach den Bestimmungen der MB/PPV 1996, 2009, 2010 bzw 2012 eingeholtes Gutachten offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht oder ein Sachverständiger die erforderlichen Feststellungen ausnahmsweise nicht treffen kann oder will oder sie verzögert.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin ab 13. März 2006 Pflegegeld aus der privaten Pflegeversicherung nach Pflegestufe III statt Pflegestufe II beanspruchen kann.
Die 1924 geborene Klägerin ist bei der Beklagten aufgrund eines Pflegeversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung, Bedingungsteil für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV) zugrunde liegen, in der Tarifstufe PVN privat pflegeversichert. Ab 01. Juli 2004 zahlte ihr die Beklagten ein Pflegegeld nach Pflegestufe I (Schreiben der Beklagten vom 29. September 2004). Grundlage war das MEDICPROOF-Gutachten des Arztes Dr. B. vom 18. August 2004, der den Bedarf in der Grundpflege mit 112 Minuten schätzte. Als (wesentliche) pflegebegründende Diagnosen wurden eine Polyarthrose der unteren Extremitäten und eine Adipositas angegeben. In der pflegebegründenden Vorgeschichte ist ausgeführt, im Vordergrund der Beschwerden stehe bei der Klägerin die Einschränkung der Mobilität, bedingt durch eine beidseitige Gonarthrose und einen Zustand nach Schenkelhalsfraktur links 1995. Dadurch sei das Gehen erschwert, das Treppensteigen sehr schwierig und nur mit Hilfe möglich. Auch das Hinstellen sowie das Laufen auf Zimmerebene seien schwierig. Zudem bestehe ein Zustand nach Unterarmfraktur links. Dadurch sei die Greiffunktion bei persistierender Fehlstellung der Frakturen links eingeschränkt. Vorbeugen und Nackengriff seien schwierig wegen persistierender Arthrose auch in den Schultergelenken und im rechten Ellenbogengelenk. Es bestehe eine deutliche Adipositas, auch würden gelegentliche Rückenschmerzen geäußert. Das Langzeitgedächtnis sei mit Einschränkung vorhanden, das Kurzzeitgedächtnis etwas gemindert.
Gegen das Ergebnis dieses Gutachtens wandte sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 05. Oktober 2004. Die Beklagte holte hierauf bei der MEDICPROOF-GmbH das Zweitgutachten des Allgemeinmediziners Dr. H. vom 27. November 2004 ein. Dieser gelangte zu der Beurteilung, dass das im Erstgutachten ermittelte Ergebnis zu bestätigen sei, es jedoch zwischenzeitlich zu einer weiteren gesundheitlichen Verschlechterung mit Zunahme des Hilfebedarfs bei der Grundpflege gekommen sei. Seit November 2004 bestehe daher Pflegebedürftigkeit entsprechend Pflegestufe II. Unter pflegebegründenden Diagnosen ist eine Polyarthrose aller Gelenke, ein chronisches Schmerzsyndrom, ein Zustand nach Plattenosteosynthese wegen Schenkelhalsfraktur links 1995, eine Gonarthrose beidseits, ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom, ein Zustand nach distaler Radiustrümmergelenksfraktur links am 06. Juli 2004, eine fortgeschrittene Osteoporose und eine altersbedingte Schwäche angegeben. Im Weiteren ist ausgeführt, bei der Polyarthrose handele es sich um ein chronisch-progredientes Leiden mit zunehmendem Verlust der Restfähigkeiten im Bereich der Mobilität. Durch den progredienten Krankheitsverlauf sei es nach der Vorbegutachtung zur weiteren Verschlechterung gekommen, die auch aus dem Vergleich der Mobilitätsbeschreibung zwischen dem Erstgutachten und der jetzt erfolgten Begutachtung zu ersehen sei. Nach den Angaben der Klägerin habe die Schmerzsymptomatik in den letzten Wochen deutlich zugenommen. Deshalb sei seit November 2004 von einem Beginn der Pflegebedürftigkeit entsprechend Pflegestufe II auszugehen. Die Klägerin bedürfe aufgrund der Bewegungseinschränkungen in vielen Bereichen der Grundpflege fremder Hilfe. Das Waschen...