Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Dauer des Krankengeldes. neuer Dreijahreszeitraum. Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung. Arbeitsfähigkeit von mindestens sechs Monaten. Feststellung negativer Tatsachen. Beweiserleichterung bzw Beweislastumkehr zu Gunsten des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
Nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums besteht nach § 48 Abs 2 Nr 1 SGB V ein Anspruch auf Krankengeld nur, wenn der Versicherte ua zwischen dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeit und dem Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig war. Lässt sich nicht (mehr) feststellen, ob der Versicherte zwischen der letzten Feststellung von Arbeitsunfähigkeit und der erneuten Feststellung von Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war, kommt, da es sich um die Feststellung einer negativen Tatsache handelt, zu Gunsten des Versicherten eine Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr in Betracht.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16.09.2016 und der Bescheid der Beklagten vom 26.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2015 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 07.05.2015 bis 30.09.2015 zu gewähren.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) für den Zeitraum 07.05. bis 30.09.2015.
Der 1973 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und bezog ab 01.04.2011 Arbeitslosengeld (Alg). Ab 01.12.2011 erkrankte er arbeitsunfähig wegen einer depressiven Episode (F 32.9) und einer Panikstörung (F 41.0). Nach Ende der Leistungsfortzahlung durch die Bundesagentur für Arbeit gewährte die Beklagte dem Kläger Krg für die Zeit vom 12.01. bis 30.11.2012. Vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2013 war der Kläger wieder versicherungspflichtig beschäftigt. Direkt im Anschluss daran erhielt er vom 01.01.2014 bis zum 06.04.2014 Alg von der Bundesagentur für Arbeit. Arbeitsunfähigkeit (AU) wurde erneut festgestellt ab 24.02.2014 ua mit der Diagnose F 32.9. Nach Beendigung der Leistungsfortzahlung durch die Bundesagentur für Arbeit zum 06.04.2014 gewährte die Beklagte dem Kläger erneut Krg ab dem 07.04. bis zum 26.08.2014. Vom 27.08. bis 31.08.2014 bezog der Kläger wieder Alg, vom 01.09. bis 26.09.2014 war er versicherungspflichtig beschäftigt und vom 27.09.2014 bis zum 06.05.2015 erhielt der Kläger erneut Alg.
Die Beklagte hatte den Kläger bereits mit Bescheid vom 23.07.2014 über das Ende des Anspruchs auf Krg wegen der Bezugsdauer von 78 Wochen zum 26.08.2014 informiert. Rechtsmittel gegen diesen Bescheid wurden nicht eingelegt.
Am 26.03.2015 bescheinigte der Hausarzt des Klägers Dr. S. erneut AU bis voraussichtlich 10.04.2015 wegen einer Reaktion auf schwere Belastung (F 43.9), einer Angststörung (F 41.9) sowie F 32.9. Mit Folgebescheinigungen vom 09.04. und 23.04.2015, Auszahlscheinen vom 07.05., 01.06., 29.06. und 28.07.2015 sowie ärztlichen Bescheinigungen vom 28.08., 29.09.2015 und 28.10.2015 zur Erlangung von Krg bestätigte er das Vorliegen von AU.
Mit Schreiben vom 28.04.2015 unterrichtete die Beklagte den Kläger unter dem Betreff “Zahlung von Krankengeld„, ab dem 07.05.2015 erhalte er Krg. Um den Antrag bearbeiten zu können, werde er gebeten, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und zurückzusenden. Mit Bescheid vom 26.05.2015 lehnte es die Beklagte ab, Krg wegen der ab 26.03.2015 bestehenden AU zu zahlen. Ein Anspruch auf Krg für die jetzige AU sei nicht mehr gegeben, weil der Kläger für die AU vom 01.12. bis 30.11.2012 und vom 24.02. bis 26.08.2014 bereits Krg bis zur Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen (546 Kalendertage) erhalten habe. Ein erneuter Anspruch auf Krg entstehe nur, wenn er nachweise, dass er zwischen der letzten AU und der seit 26.03.2015 bestehenden AU mindestens sechs Monate arbeitsfähig gewesen sei.
Mit seinem Widerspruch vom 03.06.2015 machte der Kläger geltend, er habe in dieser Zeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Zudem sei er vom 01. bis 26.09.2014 beschäftigt gewesen.
Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Mit Gutachten vom 24.06.2015 aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers am Vortag diagnostizierte Dr. G. eine somatoforme Schmerzstörung, Angststörung, depressive Störung, Lumboischialgie rechts mit begrenzten sensiblen und motorischen Defiziten sowie ein Colon irritable. Das Leistungsvermögen des Klägers lasse derzeit auch eine körperlich leichte Tätigkeit in Vollzeit mit am allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Mindestanforderungen an psychische Belastbarkeit, Ausdauer, Konzentration nicht zu, so dass AU derzeit als begründet zu akzeptieren sei. Die aktuell AU begründende komplexe psychische Krankheit habe auch im Zeit...