Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem auch als Hochschullehrer tätigen Rechtsanwalt. Erstreckung einer Befreiung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6. Verfassungsmäßigkeit. Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer früheren Verwaltungspraxis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tätigkeit als Hochschullehrer stellt keine anwaltliche Tätigkeit dar. Der zugleich als Hochschullehrer tätige Rechtsanwalt hat zwei Arbeitsbereiche, einen arbeitsvertraglich gebundenen und einen als freier Anwalt.

2. Die Regelung in § 6 Abs 5 S 2 SGB VI verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 GG, indem sie eine Befreiungsmöglichkeit für eine Nebenbeschäftigung lediglich für grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegende, aber von dieser befreite Beschäftigte oder Selbständige, nicht jedoch auch für von vornherein nicht der Versicherungspflicht unterliegende Selbständige vorsieht.

 

Orientierungssatz

1. Zur Erstreckung einer Befreiung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 auf eine befristete berufsfremde Beschäftigung (vgl BSG vom 11.3.2021 - B 5 RE 2/20 R = SozR 4-2600 § 6 Nr 21).

2. Die Befreiung von der Versicherungspflicht ist nicht personenbezogen, sondern tätigkeitsbezogen auf die konkrete Beschäftigung beschränkt. Eine früher erteilte Befreiung entfaltet bei einem Wechsel der Beschäftigung hinsichtlich des neuen Beschäftigungsverhältnisses auch dann keine Wirkung, wenn hierbei dieselbe oder eine vergleichbare berufliche Tätigkeit ausgeübt wird (vgl BSG vom 31.10.2012 - B 12 R 5/10 R = SozR 4-2600 § 231 Nr 5 RdNr 24 sowie vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R = SozR 4-2600 § 6 Nr 22).

3. Eine Selbstbindung aufgrund einer früheren Verwaltungspraxis kann nur im Rahmen eines der Verwaltung eingeräumten Beurteilungsspielraums oder Ermessens eintreten. § 6 Abs 1, Abs 5 S 2 SGB 6 räumt den Behörden aber bereits keinen derartigen Spielraum bei der Beurteilung der Frage ein, ob eine Befreiung erteilt werden kann. Im Widerspruch zu zwingenden gesetzlichen Vorgaben kann keine Selbstbindung der Verwaltung entstehen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 13. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) streitig.

Der 1970 geborene Kläger ist als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Seit dem 26. November 2000 ist er Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer K und Mitglied des Versorgungswerkes für Rechtsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen. Auf seinen Antrag wurde er mit Bescheid der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 3. Juni 2005 für die Zeit vom 1. April 2005 bis 30. November 2005 in seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität K von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit. In der Folgezeit wurde er für jeweils zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universitätsprofessor bzw. Lehrstuhlvertreter an verschiedenen Hochschulen von der Beklagten von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit. Auf seinen Antrag vom 2. Mai 2013 auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 1. April 2013 bis zum 30. September 2013 für die Tätigkeit als Universitätsprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität M erfolgte eine Befreiung mit Bescheid vom 9. August 2013. Auf den Antrag vom 3. November 2013 auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Oktober 2013 bis 31. März 2014 erfolgte mit Bescheid vom 25. Juni 2014 eine Befreiung für diese Zeit. Auf den Antrag vom 31. März 2014, eingegangen am 2. April 2014, wurde er mit Bescheid vom 25. Juni 2014 für die Zeit vom 1. April 2014 bis zum 30. September 2014 für die Tätigkeit als Professor an der Universität M von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. In dem Bescheid führte die Beklagte aus:

„Die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 SGB VI sind für die Dauer Ihrer zeitlich befristeten berufsfremden Beschäftigung vom 01.04.2014 bis 30.09.2014 erfüllt.

Die Befreiung gilt für die vorgenannte Beschäftigung, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und Versorgungsabgaben beziehungsweise Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären.

Sofern Ihre berufsfremde Beschäftigung vor Ablauf der Befristung in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis umgewandelt werden sollte, erledigt sich der Befreiungsbesche...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge