Entscheidungsstichwort (Thema)
Quasi-Berufskrankheit. Nichtanwendbarkeit. Entscheidungsvorrang des Verordnungsgebers. Lungenfibrose. Schweißrauche
Leitsatz (amtlich)
Die Anerkennung einer "Lungenfibrose nach Einwirkung von Schweissrauchen" als Berufskrankheit nach § 551 Abs 2 RVO ist derzeit "gesperrt", da der Verordnungsgeber mit der Anerkennung dieser Berufskrankheit befaßt ist.
Tatbestand
Die Klägerin, Rechtsnachfolgerin ihres während des Berufungsverfahrens verstorbenen Ehemanns (im Folgenden: Versicherter), begehrt Entschädigung der Atemwegserkrankung des Versicherten (Lungenfibrose nach "Schweißerlunge") wie eine Berufskrankheit gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der 1940 geborene und 1999 verstorbene Versicherte arbeitete seit Juni 1971 als Vollzeitschweißer in der Metallindustrie. Zu seinen Aufgaben gehörte Elektroschweißen, Schutzgasschweißen und Punktschweißen, letzteres auch in Silos und in Behältern. Im Februar 1993 erfuhr die Beklagte durch eine Arbeitsunfallanzeige, dass der Versicherte an einer schweren chronisch-obstruktiven, einen Arbeitsplatzwechsel erfordernden, Bronchitis leide (Arztbrief der Klinik L. vom 26. September 1991). Sie leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren zur Prüfung der Frage ein, ob eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit vorliege. Die Beklagte zog Unterlagen über stationäre Behandlungen des Versicherten vom 4. bis 19. September 1991 und vom 5. bis 24. November 1992 in der Klinik L. (Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie), ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Heilbronn, Befundberichte der Dres. S. und S. (Arztbriefe vom 10. Dezember 1990, 21. April 1992, 22. März 1993, 7. September 1993) und des Dr. M. (Arztbrief vom 26. März 1993) sowie Unterlagen des MDK Baden-Württemberg (sozialmedizinische Gutachten vom 7. Oktober 1991, 23. März 1992, 2. November 1992) bei, befragte frühere Arbeitgeber des Versicherten über dessen Arbeit, holte die Stellungnahme hires Technischen Aufsichtsdienstes vom 22. Juni 1993 ein und erhob schließlich das arbeitsmedizinische Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin Prof. Dr. H. vom 30. März 1994 mit röntgenologischem Zusatzgutachten des Dr. S. vom 28. Februar 1994. Prof. Dr. H. konnte eine obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung nicht nachweisen; die lungenfunktionsanalytischen Werte lägen im Normbereich. Aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen gehe hervor, dass man lediglich einmal, im Jahr 1991, eine obstruktive Ventilationsstörung festgestellt habe. Deshalb sei eine beruflich verursachte obstruktive Atemwegserkrankung nicht hinreichend zu begründen. Die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 oder Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) seien nicht erfüllt. Indessen könne man die Strukturen, die auf den bei der Zusatzbegutachtung angefertigten Röntgenbildern der Lungen sichtbar seien, als Siderose interpretieren. Diese beruhe zwar auf der beruflich bedingten Inhalation von Schweißrauchen, habe aber keinen Krankheitswert.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 1994 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Die Untersuchung habe ergeben, dass der Versicherte eine sog. "Schweißerlunge" habe, also röntgenologisch nachweisbare rückbildungsfähige Eisenpigmenteinlagerungen in den Lungen aufweise, die nach arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu diffus fortschreitenden Lungenfibrosen führten und die Lungenfunktion auch nicht einschränkten. Diese Eisenoxideinlagerungen, die weder als noch wie eine Berufskrankheit (§ 551 Abs. 1 und 2 RVO) zu entschädigen seien, hätten die Beschwerden des Versicherten, dessen Lungenfunktion sich als normal erwiesen habe, nicht verursacht. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Versicherten wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 1995 zurück.
Am 9. März 1995 erhob der Versicherte Klage beim Sozialgericht Heilbronn. Die Beklagte legte dem Sozialgericht eine (weitere) Stellungnahme hires Technischen Aufsichtsdienstes zum Arbeitsplatz des Versicherten, zu den ausgeführten Schweißarbeiten und den dabei verwendeten Stoffen vor, worauf das Gericht beim Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G. das arbeitsmedizinisch-fachinternistische Gutachten des Institutsleiters und Vorsitzenden des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) Prof. Dr. W. in Zusammenarbeit mit Dr. S., Arzt für Arbeitsmedizin und innere Medizin, erhob. Der Sachverständige konnte die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 oder Nr. 4302 der Anlage zur BKV nicht feststellen; die geklagten Atemnotbeschwerden beruhten auf einem berufsunabhängigen sinobronchialen Syndrom, das durch rezidivierende Sinusitiden verursacht werde. Er fand indessen eine röntgenologisch und histologisch gesicherte Lungenfibrose und führte nach eingehender Darstellung der einschlägigen wis...