Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragspsychotherapeutische Versorgung. Bedarfsplanung. Überversorgung. Zulassungsbeschränkungen. qualifikationsbezogene Sonderbedarfszulassung. Psychologischer Psychotherapeut. Zusatzbezeichnung "Klinische Neuropsychologie"
Leitsatz (amtlich)
Bei der Zusatzbezeichnung "Klinische Neuropsychologie" handelt es sich um eine besondere Qualifikation iS des § 37 Abs 2 BPL-RL (juris: ÄBedarfsplRL), die auch bei einem Psychologischen Psychotherapeuten einen qualifikationsbezogenen Sonderbedarf begründen kann.
Tenor
Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.02.2019 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des
Berufungsverfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der übrigen Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung der ersten Instanz.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 105.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Sonderbedarfszulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung mit hälftigem Versorgungsauftrag.
Die Klägerin ist Diplom-Psychologin und seit dem 04.01.1999 approbierte Psychologische Psychotherapeutin, seit dem 06.11.2002 mit der Anerkennung im Psychotherapie-Richtlinienverfahren Verhaltenstherapie. Seit dem 01.08.1995 war sie in einem neurologischen (teilstationären) Rehabilitationszentrum (Kliniken S) in S1 tätig. Außerdem war sie von 2004 bis 2013 freie Mitarbeiterin in einer psychotherapeutischen Praxis in S1. Seit dem 01.04.2013 führt sie nebenberuflich eine Privatpraxis für Neuropsychologie und Psychotherapie in S1. Der Planungsbereich der Stadt S1 ist für die Gruppe der Psychotherapeuten wegen Überversorgung gesperrt.
Die Klägerin erwarb am 29.07.2009 die Zusatzbezeichnung Klinische Neuropsychologie. Nach § 18 der ab 14.12.2012 geltenden Weiterbildungsordnung der L B (WBO PT-BW) umfasst der Bereich Klinische Neuropsychologie die Vorbeugung, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation hirngeschädigter Patienten unter Einbezug ihrer familiären und beruflichen Situation. Der Erwerb der Zusatzbezeichnung erforderte unter anderem eine zweijährige klinische Tätigkeit in Vollzeit (oder bei entsprechend längerer Dauer in Teilzeit) auf Weiterbildungsstellen für Klinische Neuropsychologie oder klinischen Stellen. Davon war mindestens ein Jahr in zur Weiterbildung zugelassenen stationären Einrichtungen der Neurologie oder Neurologischen Rehabilitation abzuleisten. Bis zu einem Jahr konnte sie in einer zur Weiterbildung zugelassenen Praxis oder Ambulanz abgeleistet werden. Darüber hinaus erforderte die Weiterbildung mindestens 100 Stunden fallbezogene Supervision und mindestens 400 Stunden theoretische Weiterbildung.
Die Klägerin beantragte am 15.01.2015 beim Zulassungsausschuss für Ärzte im Bezirk der Beigeladenen zu 1) die vertragsärztliche Zulassung für Leistungen der neuropsychologischen Therapie und Diagnostik als Sonderbedarfszulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag. Zur Begründung führte sie aus, dass die entsprechenden Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 30930 bis 30935 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) im Jahr 2013 Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung geworden seien. Es bestehe im Planungsbereich S1 für solche Leistungen ein spezifischer und dauerhafter Versorgungsbedarf. Der einzige im Planungsbereich zugelassene Psychotherapeut, der ebenfalls über eine entsprechende Zusatzbezeichnung verfüge, könne diesen Bedarf nicht decken. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) habe in einem Rundschreiben mitgeteilt, dass zur Abdeckung des Versorgungsbedarfs das Instrument der Sonderbedarfszulassung eingesetzt werden könne. Sie verfüge mit dem Erwerb der Zusatzbezeichnung Klinische Neuropsychologie auch über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für eine entsprechende Sonderbedarfszulassung.
Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag durch Beschluss vom 07.05.2015 bzw. Bescheid vom 25.09.2015 ab. Zur Begründung führte er aus, dass weder ein lokaler noch ein qualifikationsbezogener Sonderbedarf im Sinne der §§ 36, 37 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie; ≪BPL-RL≫) festgestellt werden könne. Die Versorgungslage sei im Planungsbereich aufgrund der tatsächlich bestehenden Versorgungsmöglichkeit ausreichend und zweckmäßig und rechtfertige die Erteilung einer lokalen Sonderbedarfszulassung nicht. Die von der Klägerin erworbene Zusatzbezeichnung Klinische Neuropsychologie stelle auch keine besondere Qualifikation im Sinne des § 37 BPL-RL dar, weswegen eine qualifikationsbezogene Sonderbedarfszulassung ebenfalls nicht erteilt werden könne. Im Übrigen sei jedenfalls kein dauerhafter Versorgungsbedarf für Leistungen der kli...