Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. elektronische Gesundheitskarte. Lichtbilderfordernis. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) ist mit einem Lichtbild zu versehen. Aus dem Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art 4 Abs 1 GG) folgt kein Anspruch auf Ausstellung einer eGK ohne Lichtbild.
Orientierungssatz
Die Verpflichtung zur Zurverfügungstellung eines Lichtbilds und zur Unterschriftsleistung verstößt nicht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Anschluss an LSG Berlin-Potsdam vom 6.3.2014 - L 1 KR 23/14 ER).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.08.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Obliegenheit, die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen mittels elektronischer Gesundheitskarte (eGK) nachzuweisen. Die Klägerin wendet sich insbesondere gegen das Lichtbilderfordernis.
Die am 23.08.1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert; ihre Religionszugehörigkeit hat sie mit „evangelisch“ mitgeteilt. Im Sommer 2012 bat die Beklagte die Klägerin um Vorlage eines Passbilds/Lichtsbilds. Die Klägerin legte ein Lichtbild nicht vor.
Am 16.06.2015 beantragte sie bei der Beklagten, ihr eine eGK ohne Lichtbild zur Verfügung zu stellen. Sie wolle aus religiösen Gründen kein Lichtbild verwenden.
Mit Schreiben vom 16.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass seit dem 01.01.2014 nur noch die eGK als gültiger Versicherungsnachweis bei dem behandelnden Arzt oder Zahnarzt vorzulegen sei. Regelmäßig sei die Verwendung eines Lichtbilds erforderlich. Ausnahmen seien nur in bestimmten Fällen möglich. Persönliche religiöse Gründe könnten zwar im konkreten Einzelfall anerkannt werden, erforderlich sei aber eine nachvollziehbare Begründung, weshalb kein Bild eingereicht werden könne. Die Klägerin werde daher gebeten, ihre Gründe darzulegen.
Auf die Erinnerung der Beklagten vom 13.08.2015 teilte die Klägerin mit Schreiben vom 07.09.2015 mit, dass sie als Versicherte nicht verpflichtet sei, ihre religiösen Gründe näher zu erläutern. Die Beklagte sei nicht berechtigt, hier näher nachzufragen. Die Auffassung der Beklagten verstoße gegen das Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbot sowie gegen die Religionsfreiheit des Grundgesetzes (Artikel 4 Abs 1 GG).
Mit Schreiben vom 29.09.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nicht von der Vorlage eines Lichtbilds befreit werden könne. Die bisherigen Krankenversichertenkarten seien nicht mehr gültig. Leistungen könnten nur noch mit der eGK abgerechnet werden.
Die Klägerin bekräftigte mit Schreiben vom 08.10.2015 ihre Auffassung und bat um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 16.07.2015 als unbegründet zurück. Jeder Versicherte habe Anspruch auf eine Krankenversichertenkarte, die jedoch mit einem Lichtbild zu versehen sei (§ 291 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung [SGB V]). Die eGK diene als Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen. Das Lichtbild auf der eGK ermögliche dem Arzt die Überprüfung der Identität und schütze vor Missbrauch der Karten. Die Ausgabe einer eGK ohne Passbild sei lediglich in wenigen Ausnahmefällen vorgesehen, soweit die Mitwirkung des Versicherten dauerhaft nicht möglich sei. Den Gesetzesmaterialien seien zwar religiöse Gründe als Ausnahmegründe nicht zu entnehmen. Die Beklagte lasse Ausnahmen vom Lichtbilderfordernis jedoch bei begründeten religiösen Gründen zu. Solche seien vorliegend jedoch nicht von der Klägerin dargetan.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.12.2015 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Sie hat auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Die Rechtsauffassung der Beklagten verstoße gegen das Grundgesetz. Es sei vorliegend eine Einzelfallentscheidung mit einer Interessenabwägung vorzunehmen. Zu ihren Beweggründen, weshalb sie sich auf die Religionsfreiheit des Grundgesetzes berufe, wolle sie keine näheren Angaben machen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
In einem Erörterungstermin am 10.08.2016 hat die Kammervorsitzende des SG mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert (Bl 19 SG-Akte).
Mit Gerichtsbescheid vom 12.08.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2015 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Aushändigung einer eGK ohne Lichtbild. Eine Ausnahme, wie sie § 291 Abs 2 Satz 1 SGB V für Versicherte bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres sowie für Versicherte, deren Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbilds nicht möglich sei, vorsehe, lieg...