Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Verletztenrente. unfallbedingte Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaß. psychischer Gesundheitsschaden. Nachweis im Vollbeweis. international anerkanntes Diagnosesystem. weitere Unfallfolgen. haftungsausfüllende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, somatoforme autonome Funktionsstörungen des oberen Verdauungstraktes sowie rezidivierende depressive Störungen. Konkurrenzursache. schwerer Verkehrsunfall. Busfahrer

 

Orientierungssatz

1. Zum Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Verletztenrente mangels unfallbedingter Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaß.

2. Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (zum Beispiel ICD-10 bzw seit ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 2022 ICD-11, DSM IV bzw ggfs DSM-5) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erforderlich, damit die Feststellung nachvollziehbar ist.

3. Zur Nichtanerkennung weiterer Gesundheitsschäden (hier: chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, somatoforme autonome Funktionsstörungen des oberen Verdauungstraktes sowie rezidivierende depressive Störungen) als Folge eines Arbeitsunfalls mangels Vorliegens der haftungsausfüllenden Kausalität.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. März 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1969 geborene Kläger erlitt am 29. März 2001 als Busfahrer einen unverschuldeten Verkehrsunfall, als ihm ein PKW die Vorfahrt nahm. Die Unfallgegnerin verstarb an den Folgen des Unfalls und ihre beiden mit im PKW befindlichen (damals vier- und fünf Jahre alten) Kinder wurden schwer verletzt. Der D1 diagnostizierte beim Kläger am Unfalltag eine Thoraxprellung links und eine Flankenprellung links.

Der Kläger nahm nach eigenen Angaben bereits nach drei Tagen seine Tätigkeit als Busfahrer wieder auf. Er arbeitete anschließend bei wechselnden Arbeitgebern bis September 2014 weiter als Busfahrer. Seither ist er arbeitsunfähig und sein letztes Arbeitsverhältnis wurde im Jahr 2016 gekündigt.

Auf Basis einer einmaligen ambulanten psychiatrischen Untersuchung des Klägers am 27. April 2001 diagnostizierte der T1 in seinem Befundbericht vom 30. April 2001 eine reaktive depressive Störung. Die Arbeit habe der Kläger aber bereits wiederaufgenommen. Körperliche unfallbedingte Verletzungsfolgen seien von dem Kläger nicht berichtet worden.

Der P1 äußerte bei der Vorstellung des Klägers am 12. August 2004 den Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In der Folge übernahm die Beklagte die Kosten zunächst für 5 probatorische Sitzungen bei dem B1, der in seinem Bericht vom 3. Januar 2005 vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausging.

Die Beklagte holte daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme des F1 ein. Dieser führte am 28. Februar 2005 aus, dass er zwar die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht teile, aber von einer unfallbedingten depressiven, länger anhaltenden Anpassungsstörung mit Schuldproblematik ausgehe. Er empfahl, umgehend eine Therapie durchzuführen, die zu einer völligen Rückbildung der Symptomatik führen könne. Er rechne nicht mit einer bleibenden MdE. Die Beklagte bewilligte sodann die Kostenübernahme für 25 Sitzungen.

In seinem Befundbericht vom 18. Juni 2005 berichtete der B1 von einer sich abzeichnenden stabilisierenden Verbesserung der psychischen Befindlichkeit des Klägers. Die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung würden sich durch die multimodale Psychotherapie minimieren und der Kläger bewerte seine Arbeit als eine gelingende Aufgabe, der er sich gewachsen fühle.

Nachdem der Kläger sich im Juni 2014 wegen orthopädischer Beschwerden wieder an die Beklagte gewandt hatte, gab diese ein orthopädisches Gutachten in Auftrag. L1 führte in seinem Gutachten vom 17. Juli 2015 aus, die degenerative Veränderung im Bereich des linken Schenkelhalses am linken Hüftgelenk sei nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 29. März 2001 zurückzuführen. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet lägen keine durch den Unfall wesentlich verursachten Gesundheitsstörungen mehr vor.

Die MdE betrage 0 vH.

Am 17. November 2015 stellte sich der Kläger ambulant in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums E1 (S1 und N1) vor. Dem dortigen Befundbericht vom 9. Dezember 2015 sind die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode mittelgradiger Ausprägung und eines Labrumabrisses der linken Hüfte bei Zustand nach Operation mit psychischer Überlagerung zu entnehmen. Durch die unmittelbar eingeleitete Therapie habe der Kläger das Unfalle...

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