Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Syndikusrechtsanwälten nach § 231 Abs 4b SGB 6. Erfordernis einer gesonderten Antragstellung bis zum Ablauf des 1.4.2016 nach § 231 Abs 4b S 6 SGB 6 auch bei einem anhängigen Verfahren, das die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für dieselbe Tätigkeit nach altem Recht betrifft
Orientierungssatz
Die nach § 231 Abs 4b SGB 6 eingeführte Möglichkeit einer rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt setzt eine gesonderte Antragstellung voraus, auch wenn wegen derselben Tätigkeit ein bereits vor dem Inkrafttreten des SAnwRNOG/FGOÄndG begonnenes Verfahren um die Befreiung noch anhängig war. Ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach altem Recht kann insoweit einen Antrag auf rückwirkende Befreiung als Syndikusrechtsanwalt nicht ersetzen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 02.06.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine rückwirkende Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die Zeit vom 01.10.2011 bis 17.03.2016 und in diesem Zusammenhang insbesondere um die fristgerechte Antragstellung nach § 231 Abs 4b Satz 6 SGB VI.
Der Kläger ist Volljurist, zugelassener Rechtsanwalt und seit 13.05.2002 Mitglied der Rechtsanwaltskammer T. Er war vom 01.03.2002 bis 30.09.2011 als Rechtsanwalt bei der P AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, S, beschäftigt und war in dieser Zeit aufgrund eines Bescheides der Landesversicherungsanstalt für Angestellte vom 30.07.2002 für die Zeit ab dem 13.05.2002 von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI befreit. In der Zeit vom 01.10.2011 bis 19.07.2016 war der Kläger sodann bei den S1 GmbH (Beigeladene zu 2) beschäftigt.
Der Kläger beantragte im Oktober 2011 bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Weitergeltung der mit Bescheid vom 30.07.2002 und Wirkung ab 13.05.2002 ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht für die abhängige Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) mit Bescheid vom 10.11.2011 ab, da es sich nicht um eine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 04.06.2012 zurückgewiesen. Die hiergegen zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage war dort zunächst unter dem Az S 6 R 1800/12 bzw S 10 R 1800/12 anhängig und wurde zunächst unter dem Az S 10 R 2759/17 WA und schließlich dem Az S 3 R 1648/19 fortgeführt. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 13.04.2016 unterrichtete der Kläger das SG (Eingang 15.04.2016), dass er einen Antrag auf Zulassung zum Syndikusanwalt gestellt habe. Das SG nahm dieses Schreiben zu den Gerichtsakten und verfügte „Weglegen“ des ruhenden Verfahrens. Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.06.2020 ab. Die eingelegte Berufung war beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg unter dem Az L 11 R 2330/20 anhängig und wurde mit Schriftsatz vom 08.06.2021 für erledigt erklärt.
Mit Beschluss der Rechtsanwaltskammer T vom 20.07.2016 wurde der Kläger auf seinen Antrag vom 17.03.2016, eingegangen dort am 18.03.2016, und nach Anhörung der Beklagten (vgl Schreiben der Rechtsanwaltskammer T vom 27.06.2016) als Syndikusrechtsanwalt nach § 46a Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen. Mit Bescheid vom 09.11.2016 (in der Fassung des Bescheides vom 29.11.2017) erteilte die Beklagte die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund der Zulassung zum Syndikusrechtsanwalt mit Wirkung zum 18.03.2016.
Der Kläger beantragte die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b SGB VI bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.10.2011. Der vom Kläger unterzeichnete Antrag vom 22.07.2016 ging über den Beigeladenen zu 1) (Eingang dort am 28.07.2016) am 01.08.2016 bei der Beklagten ein. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 28.07.2016 (Eingang bei der Beklagten am 01.08.2016) bat er zusätzlich um Entscheidung über den vorsorglich gestellten Rückwirkungsantrag.
Mit Bescheid vom 18.01.2017 wurde der Antrag abgelehnt, da der Kläger den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum 01.04.2016 gestellt habe.
Die Beklagte wies den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 06.02.2017 mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2017 zurück. Der Antrag sei nicht fristgerecht bis zum 01.04.2016 gestellt worden. Der am 22.07.2016 unterschriebene Formantrag sei erst am 01.08.2016 bei der Beklagten eingegangen. Der in der Widerspruchsbegründung erwähnte Schriftsatz vom 17.03.2016, mit dem der Antrag gestellt worden sei, liege ...