Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenerstattung für Hyperthermiebehandlung bei einer Krebserkrankung zusätzlich zur Chemotherapie. keine anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode. kein Systemversagen. keine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005
Leitsatz (amtlich)
Versicherte der GKV, die an einem Colonkarzinom erkrankt sind, welches derart fortgeschritten ist, dass nur noch palliative Behandlungen möglich sind, haben keinen Anspruch auf eine zusätzlich zu einer (von der Krankenkasse bezahlten) Chemotherapie durchgeführten (additiven) Behandlung mit niederfrequenter Hyperthermie (sog Elektrohyperthermie oder Onkothermie; Behandlungsjahre 2008 und 2009).
Orientierungssatz
1. Ein Ausnahmefall des Systemversagens liegt nicht vor.
2. Ein Anspruch kann auch nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gestützt werden (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 und BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 25 Nr 12).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2013 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung einer ambulanter Hyperthermiebehandlung iHv noch 3.338,22 € streitig.
Der Kläger ist Ehemann der am 15.03.1953 geborenen und am 15.02.2009 verstorbenen I. D., die bei der Beklagten krankenversichert war (im Folgenden: Versicherte). Bei der Versicherten wurde im August 2007 ein Colonkarzinom mit Lebermetastasierung festgestellt. Im August 2007 wurde operativ ein Stück des Dickdarms entfernt (Hemicolektomie rechts). Im Oktober 2007 erfolgte eine atypische Resektion des Lebersegments VIII und die Exstirpation eines befallenen Lymphknotens. Ab November 2007 wurde eine adjuvante Chemotherapie mit drei Zyklen Folfox, Oxiplatin, Calciumfolinat, 5 FU 400 und 5 FU 600 durchgeführt. Im Januar 2008 wurden insgesamt acht Lebermetastasen festgestellt. Ab Februar 2008 wurde eine Chemotherapie mit Folfiri sowie Avastin und Irinotecan, Folinsäure, 5 FU 400, 5 FU 600 und Bevacizumab durchgeführt. Ab dem 05.02.2008 wurde parallel ergänzend zur Chemotherapie eine Niederfrequenzhyperthermie (13,56 MHz) angewandt. Eine CT-Untersuchung im April 2008 zeigte eine rückläufige Tendenz des Krankheitsgeschehens. Trotz Fortführung der Behandlung wurde bei einer CT-Untersuchung im August 2008 eine Größenprogression der Metastasen im linken Leberlappen festgestellt. Ab August 2008 erfolgte eine Umstellung der Medikation auf Avastin-Erhaltungstherapie und ab September 2008 auf Irinotecan und Cetuximab. Im November 2008 zeigte eine weitere CT-Untersuchung ein Größenwachstum der Metastasen im linken Leberlappen sowie neue Metastasen im Bereich der Leberpforte. Ab Dezember 2008 nahm der Leberkapselschmerz zu. Die Versicherte verstarb am 15.02.2009.
Mit Schreiben vom 15.02.2008 beantragte die Versicherte bei der Beklagte die Übernahme der Kosten für die ab 05.02.2008 durchgeführte Hyperthermiebehandlung und legte hierzu ein Schreiben von Dr. M.-H. vom Zentrum für Integrative Onkologie in der F.-Klinik vor. Hierin beantragte er die Kostenübernahme für die Tiefenhyperthermie, die im Therapiekonzept 25 Sitzungen umfasse (Kosten je Sitzung 145,14 €). Bei der lokoregionären Tiefenhyperthermie werde eine Überwärmung der Tumorzellen mittels hochfrequenter Wellen angestrebt, wodurch es zu einer Tumorhypoxämie (Sauerstoffmangel) und Entwicklung eines sauren Zellmilieus sowie zu einer Nährstoffverarmung im Tumor komme. Hierdurch werde der Zellstoffwechsel gestört und es könne zum Zelltod kommen. Die verabreichte Chemotherapie erfahre durch die Hyperthermie eine Wirkungsverstärkung am Tumor. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin von der Hyperthermie profitiere.
Mit Bescheid vom 26.02.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Welche Leistungen die Ärzte mit den Krankenkassen abrechnen dürften, entscheide der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (GBA). Die Leistungen müssten dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und wirtschaftlich und zweckmäßig sein. Die lokoregionäre Hyperthermie erfülle diese Voraussetzungen nicht. Auf den Widerspruch der Versicherten führte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 19.03.2008 aus, dass die Tiefenhyperthermiebehandlung bereits mit Beschluss des GBA vom 18.01.2005 aus der ambulanten vertragsärztlichen Behandlung herausgenommen worden sei. Auch hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies darauf, dass die Beklagte in anderen Fällen entsprechende Kosten bereits übernommen habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit dem Ausschluss der regionären Tiefenhypert...