Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Bildung des Gesamt-GdB. zwei Einzel-GdB von 30. keine schematische Bewertungsregel. Beurteilung der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen im konkreten Einzelfall
Leitsatz (amtlich)
Zur Bildung des Gesamt-GdB bei 2 Einzel-GdB-Werten von jeweils 30: Eine schematische Bewertung dahingehend, dass bei einem Einzel-GdB von 30 ein weiterer Einzel-GdB von 30 regelmäßig nur zu einer Erhöhung um 10 Punkte und nur ausnahmsweise zu einer Erhöhung um 20 Punkte führt, steht mit den in den VG, Teil A, Nr 3 aufgestellten und vom BSG in ständiger Rechtsprechung gebilligten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB nicht in Einklang.
Orientierungssatz
Gleichwohl kommt bei der notwendigen Betrachtung der Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander hier im konkreten Einzelfall im Ergebnis tatsächlich nur eine Erhöhung des Gesamt-GdB um 10 in Betracht - nur eben nicht aufgrund einer schematischen und regelhaften Bewertung.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. November 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höherbewertung des Grades der Behinderung (GdB).
Bei dem 1963 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 07.07.2011 in Ausführung eines im Verfahren vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) S 17 SB 4730/09 geschlossenen Vergleichs ein Gesamt-GdB von 40 ab 30.12.2008 festgestellt. Dabei wurden ein Fibromyalgiesyndrom, eine Depression, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit muskulären Verspannungen, ein Kopfschmerzsyndrom, eine Fingerpolyarthrose und eine Arthrose der Kniegelenke zu Grunde gelegt.
Am 12.03.2015 stellte der Kläger einen Änderungsantrag und machte eine Verschlimmerung der bisher berücksichtigten Gesundheitsstörungen geltend. Der Beklagte zog u.a. den Reha-Entlassungsbericht der Rehaklinik H., Fachklinik für Orthopädie und Psychosomatik, vom 24.02.2015 über die dortige stationäre Behandlung im Januar und Februar 2015 mit u.a. der Diagnose eines myofaszial betonten, mäßig chronifizierten Schmerzsyndroms der Wirbelsäule (mit fibromyalgietypischen Begleitaspekten) bei. Der Versorgungsarzt Dr. A. verneinte in Auswertung der beigezogenen Unterlagen in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.04.2015 eine wesentliche Änderung und bewertete das Fibromyalgiesyndrom bzw. die somatoforme Schmerzstörung mit Depression mit einem Einzel-GdB von 30, die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit muskulären Verspannungen und Kopfschmerzsyndrom mit einem Einzel-GdB von 20, die Fingerpolyarthrose mit einem Einzel-GdB von 10 und die Arthrose der Kniegelenke mit einem weiteren Einzel-GdB von 10 und die Behinderungen des Klägers insgesamt mit einem Gesamt-GdB von 40. Mit Bescheid vom 15.04.2015 lehnte der Beklagte hierauf gestützt den Antrag auf Neufeststellung ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2015 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 15.10.2015 Klage beim SG erhoben, mit der er die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von wenigstens 50 geltend gemacht und zu deren Begründung er vorgetragen hat, es habe sich zum einen das bereits bestehende chronifizierte Schmerzsyndrom weiter verschlechtert und zum anderen sei noch eine Beinverkürzung links, einhergehend mit erheblichen Hüftbeschwerden und Bewegungseinschränkungen, hinzugetreten. Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich einvernommen. Der Internist und Rheumatologe Dr. B. hat über Vorsprachen des Klägers in großen zeitlichen Abständen berichtet, im Zuge derer jeweils ein entzündliches Rheumageschehen habe ausgeschlossen werden können. Der Orthopäde und Chirotherapeut Dr. C. hat über Behandlungen des Klägers wegen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) und im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule (BWS) berichtet. Der Schwerpunkt der Beschwerden liege beim Kläger im Bereich von degenerativen Veränderungen am Übergang der HWS zur BWS. Auffällig sei die Zunahme der Schmerzsituation gewesen, die weder medikamentös noch durch Akupunktur habe verbessert werden können. Bezüglich der weiteren Einzelheiten sowie bezüglich der schriftlichen Aussagen der weiterhin als sachverständige Zeugen vernommenen Dres. D. und E., beides Fachärzte für Allgemeinmedizin, wird auf die SG-Akte verwiesen.
Das SG hat weiterhin von Amts wegen eine Begutachtung des Klägers durch Dr. F., Arzt für Orthopädie, veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 08.06.2016, beruhend auf einer Untersuchung des Klägers am 07.06.2016, u.a. ein Cervikalsyndrom, besonders C4/5 und C5/6, eine Cervikobrachialgie beidseits mit cervikogenem Kopfschmerz, ein chronisches Lumbalsyndrom bei Skoliose und bei Bandscheibenschaden L4/5, ein rezidivierendes Lumbalsyndrom bei Segmentinstabilität L4/5 ...