Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Beweislast bei Zahlung einer Schlussrechnung unter konkludentem Vorbehalt der nachträglichen Prüfung. Beweislast bei Nichteinleitung einer Auffälligkeitsprüfung nach vollständiger Datenübermittlung
Leitsatz (amtlich)
Begleicht die Krankenkasse innerhalb vorgegebener Zahlungsfristen eine Schlussrechnung des Krankenhauses für die vollstationäre Behandlung eines Versicherten, erfolgt die Zahlung konkludent unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Prüfung. Dies hat zur Folge, dass das Krankenhaus im Rahmen einer nachträglichen Prüfung weiterhin die Beweislast für das Bestehen seiner Vergütungsforderung trägt. Anders ist dies, wenn das Krankenhaus die nach § 301 SGB V erforderlichen Daten der Krankenkasse vollständig übermittelt hat, die Krankenkasse eine - im Hinblick auf die von ihr erhobenen Einwände allein in Betracht kommende - Auffälligkeitsprüfung nicht eingeleitet hat, aber nach Ablauf der Prüffrist des § 275 Abs 1c SGB V aF eine Erstattungsforderung wegen (vermeintlich) zu Unrecht gezahlter Vergütung einklagt. In diesem Fall trägt die Krankenkasse die Beweislast für das Bestehen ihres Erstattungsanspruchs.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 38.133,50 € festgesetzt
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung streitig.
Die 1958 geborene, bei der Klägerin versicherte G (Versicherte) wurde in der Zeit vom 29.01. bis zum 04.02.2014 sowie vom 14.04. bis zum 19.04.2014 in dem für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhaus der Beklagten wegen einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung mit homogenem Lungenemphysem stationär behandelt, wobei ihr jeweils zehn Nitinolspiralen zur Lungenvolumenreduktion, sogenannte Coils, links bzw rechts implantiert wurden. Die Beklagte stellte der Klägerin am 16.04.2014 für die stationäre Behandlung vom 29.01.2014 bis 04.02.2014 unter Zugrundelegung der Diagnosis-Related-Group (DRG) E05 C (andere große Eingriffe am Thorax ohne äußerst schwere CC, außer bei bösartiger Neubildung) einen Gesamtbetrag in Höhe von 18.961,54 € in Rechnung und brachte dabei die Prozedur OPS 5-339.8 (Lungenvolumenreduktion durch Einlage von Coils, je Nitinolspirale) in Ansatz. Diese Rechnung bezahlte die Klägerin am 14.05.2014 vollständig. Für die stationäre Behandlung vom 14.04.2014 bis zum 19.04.2014 stellte die Beklagte der Klägerin mit Rechnung vom 07.05.2014 - wiederum unter Zugrundelegung der DRG E05 C und der OPS 5-339.8 - einen Gesamtbetrag in Höhe von 19.171,96 € in Rechnung. Diesen Betrag zahlte die Klägerin am 04.06.2014 auch vollständig. Ein Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) leitete die Klägerin nicht ein.
Am 06.11.2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und Erstattung der Rechnungsbeträge in Höhe von insgesamt 38.133,50 € begehrt. Bei den stationären Behandlungen handle es sich um eine experimentelle, dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Behandlungsmethode außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (Hinweis auf Bundessozialgericht ≪BSG≫ 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R). Das Vorliegen einer NUB (neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) -Vereinbarung begründe keinen Vergütungsanspruch für den Leistungserbringer. Folglich bestehe für die durch die Beklagte abgerechneten Behandlungsfälle kein Vergütungsanspruch. Eine Verwaltungsakte existiere nicht. Es habe weder Schriftverkehr mit der Beklagten noch ein Prüfverfahren des MDK gegeben. Die Beklagte habe jeweils als Hauptdiagnose nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) J44.82 (sonstige näher bezeichnete chronische obstruktive Lungenkrankheit, FEV 1 ≫ = 50% und ≪ 70% des Sollwertes) kodiert. Die Klägerin habe einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Die Leistungen der Klägerin an die Beklagte seien jeweils ohne Rechtsgrund erfolgt. Bei den beiden stationären Behandlungen handele es sich um eine primäre Fehlbelegung. Die allein zum Zweck der Implantation der Lungen-Coils durchgeführten stationären Behandlungen der Versicherten seien nicht iSd § 39 Abs 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erforderlich gewesen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Versicherte habe an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mit homogenem Lungenemphysem gelitten. Im ersten stationären Aufenthalt sei eine endoskopische Lungenvolumenreduktionstherapie mittels Implantation von zehn Coils in den linken Oberlappen erfolgt. Beim zweiten Aufenthalt habe eine endoskopische Lungenvolumenreduktionstherapie mittels Implantation von zehn Coils in den rechten Oberlappen stattgefunden. Es handele sich bei der Maßnahme grundsätzlich um eine...