Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Feststellung von Arbeitsunfähigkeit in MDK-Gutachten. keine überzogenen formalen Anforderungen. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art 2 Abs 1 GG
Leitsatz (amtlich)
1. Wegen der Eigenart der gesetzlichen Krankenversicherung als staatliche Pflichtversicherung mit Beitragszwang dürfen im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art 2 Abs 1 GG) überzogene formale Anforderungen an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (§ 46 S 1 Nr 2 SGB V) nicht gestellt werden, erst Recht nicht, wenn sich dadurch der Versicherungsstatus des (Pflicht-)Versicherten ändern und durch Zahlung der (Pflicht-)Beiträge erworbene Leistungsansprüche verloren gehen können (vgl LSG Stuttgart vom 23.9.2015 - L 5 KR 3888/14).
2. Ein nach persönlicher Untersuchung des Versicherten erstelltes MDK-Gutachten kann eine Arbeitsunfähigkeitsfeststellung iSd § 46 S 1 Nr 2 SGB V enthalten.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 29.01.2015 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 18.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2013 verurteilt, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 06.09.2013 bis 04.12.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu einem Drittel zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Krankengeld über den 05.09.2013 hinaus.
Der 1962 geborene Kläger, Mitglied der beklagten Krankenkasse, ist gelernter Maler und war bis zum Eintritt von Arbeitslosigkeit zum 01.09.2010 in diesem Beruf versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 06.09.2012 meldete sich der Kläger (erneut) bei der Agentur für Arbeit R. arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld I. Er stellte sich der Vermittlung in Arbeit im Rahmen des ärztlich festgestellten Leistungsbildes ohne zeitliche Einschränkung zur Verfügung. Der Kläger gab außerdem an, er habe im Juni 2011 einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente gestellt, über den noch nicht abschließend entschieden sei.
Mit Bescheid vom 09.10.2012 bewilligte die Agentur für Arbeit R. dem Kläger Arbeitslosengeld I vom 06.09.2012 bis 30.09.2013 i.H.v. täglich 26,57 €.
Am 03.06.2013 stellte der Allgemeinarzt Dr. W. dem Kläger eine (Erst-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen der Diagnosen sonstige Rückenschmerzen im Zervikalbereich (M 54.82 G) und Kreuzschmerz (M 54.5 G) aus. Arbeitsunfähigkeit wurde bis 07.06.2013 festgestellt. Weitere ärztliche (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (mit den gleichen Diagnosen) wurden wie folgt ausgestellt:
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Ausstelldatum: |
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Arbeitsunfähigkeit bis: |
10.06.2013 |
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21.06.2013 |
24.06.2013 |
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05.07.2013 |
15.07.2013 |
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19.07.2013 |
22.07.2013 |
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02.08.2013 |
05.08.2013 |
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23.08.2013 |
Der Kläger bezog zunächst weiter Arbeitslosengeld I. Mit Bescheid vom 17.07.2013 wurde der Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld I ab 15.07.2013 wegen Beendigung der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall aufgehoben. In der Folgezeit bezog der Kläger Krankengeld (zunächst) vom 15.07.2013 bis 05.09.2013 i.H.v. kalendertäglich 26,57 € brutto/26,40 € netto.
Mit Schreiben vom 02.08.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er müsse die Fortdauer von Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig vor Ablauf des zeitlich befristeten ärztlichen Attests feststellen lassen. Sofern die ärztliche Bescheinigung verspätet ausgestellt werde, sei eine weitere Bewilligung des Krankengeldes nicht möglich. Der Kläger möge daher rechtzeitig Folgetermine bei seinem Arzt vereinbaren.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. W. führte im nach Untersuchung des Klägers erstellten MDK-Gutachten vom 15.08.2013 aus, beim Kläger bestehe eine anhaltende und dann unter verordneter sportlicher Belastung zunehmende Schmerzsymptomatik im dorsolumbalen Übergangsbereich und tief lumbal mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Die klinische Untersuchung habe schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule und beider Beine sowie eine Schwäche im linken Bein beim monopedalen Hüpfen ergeben. Unverständlich sei die bisher zögerliche Behandlung bei deutlichem Beschwerdevortrag. Derzeit und weiterhin sei bei anhaltender Symptomatik kein Leistungsvermögen vorhanden. Weder Diagnostik noch Therapie seien bei anhaltender Symptomatik so weit fortgeschritten, dass eine Aussage zu den Voraussetzungen des § 51 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (SGB V) möglich wäre; die Frage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit könne nicht sicher beurteilt werden. Nach Wechsel des behandelnden Orthopäden solle eine kernspintomographische Untersuchung der LWS durchgeführt werden. Es werde die Wiedervorlage der Akte bei Arbeitsunfähigkeit über den 20.09.2013 hinaus mit Arztanfrage und kernspintomographischem sowie orthopädischem Befundbericht empfohlen. Aus medizinischer Sicht bestehe auf Zeit weiter Arbeitsunfähigkeit. Abschließend heißt es in dem Gutachten: “Vorschlag an die Krankenkasse zu einer erneuten Vor...