Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Witwenversorgung. erstmalige Leistungsbeantragung. analoge Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 1a Abs 2 BVG
Leitsatz (amtlich)
Eine analoge Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 1a Abs 2 BVG auf die Fälle der erstmaligen Leistungsbeantragung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn die Witwe eines Versorgungsberechtigten, der gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen, jedoch bis zu seinem Tode Beschädigtenrente bezogen hat, Hinterbliebenenrente begehrt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Versagung von Witwenversorgung nach § 1a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) streitig.
Die 1930 geborene Klägerin ist die zweite Ehefrau des 1921 geborenen und am 4. Dezember 2001 verstorbenen G. R., der zuletzt nach dem BVG Beschädigtengrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vom Hundert (v.H.) wegen “Zustand nach Schädelbasisfraktur und Gehirnprellung mit Schwäche des linken Beines und beidseitiger mittelgradiger Innenohrschwerhörigkeit, zerebrale organische Anfälle„ bezog (Ausführungsbescheid vom 11. März 1974), ferner Ausgleichsrente und seit 1. Januar 1970 Berufsschadensausgleich. G.R war im September 1943, als er während eines Fliegerangriffs als Kradmelder unterwegs war, verschüttet und schwer verwundet worden.
G.R. war ehemaliger SS-Sturmmann bei der 2. Kompanie der Waffen-SS und von August 1941 bis August 1943 beim Sonderkommando (SK) 7a eingesetzt. Das SK 7a gehörte der Einsatzgruppe B an, die im Russlandfeldzug im rückwärtigen Armeegebiet seine Tätigkeit ausübte. Dazu gehörte neben allgemeinen sicherheitspolizeilichen Aufgaben im Rahmen der von den nationalsozialistischen Machthabern beschlossenen Maßnahmen zur Endlösung der Judenfragen die sich in den Einsatzorten aufhaltenden Juden, Kommunisten und sonstigen potenziellen Gegner zu töten.
Am 14. Januar 2002 beantragte die Klägerin beim früheren Versorgungsamt K. (VA) die Gewährung von Witwenversorgung. Das VA holte bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in L. die Auskunft vom 11. März 2002 ein. Danach war G. R. im Ermittlungsverfahren der Zentralstelle im Lande N.-W. für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft D. (45 Js 46/61) im März und Mai 1964 vernommen und beschuldigt worden; das Verfahren wurde mit Verfügung vom 8. April 1974 eingestellt. Das VA zog die G.R. betreffenden Auszüge aus der Ermittlungsakte bei (Vernehmungsprotokolle, Verfügung vom 8. Januar 1974). Danach hatte G.R. im Rahmen seiner im März 1964 erfolgten richterlichen Vernehmung ausgeführt, zu Beginn seines Einsatzes im September 1941 in der Nähe des Ortes N. bei einer Erschießung von 50 bis 75 jüdischen Männern und Frauen als Absperrung eingeteilt gewesen zu sein. Die Opfer seien zuvor von anderen Personen an die Erschießungsstelle gebracht worden. Er selbst habe den Erschießungsort absperren müssen, diesen jedoch unmittelbar selbst nicht einsehen können. Zu einem späteren Zeitpunkt habe er in K. erstmals auch selbst an einer Erschießung als Schütze teilnehmen sollen. Für diese Erschießung hätte er Männer und Frauen auf der Ladefläche eines LKW zum Erschießungsort bringen sollen. Bei dieser Fahrt seien jedoch zwei Männer geflüchtet, die er dann über einige Kilometer verfolgt habe. Nach seiner Rückkehr zur Erschießungsstätte seien die Frauen und Männer bereits erschossen gewesen. Bei einer weiteren Erschießung in einem Wald in K. sei er als Absperrposten außerhalb im freien Gelände eingesetzt gewesen. Schließlich sei er in dem Ort W.-L. daran beteiligt gewesen, Häuser nach Juden zu durchsuchen, diese einzusammeln und mitzunehmen. An weiteren Aktionen sei er nicht mehr beteiligt gewesen.
Das seinerzeit gegen zahlreiche Angehörige des SK 7a geführte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft D. wurde u.a. in Bezug auf G.R. mit Verfügung vom 8. April 1974 gemäß § 47 Abs. 2 Militärstrafgesetzbuch (MStGB) in Verbindung mit § 153 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Zu den entsprechenden Gründen ist in der in Bezug genommen Verfügung vom 18. Januar 1974 ausgeführt, dass die Beschuldigten durch ihre Teilnahme als Schütze oder Absperrposten Massenerschießungen gefördert und damit Beihilfe zum Mord geleistet hätten. Die Beschuldigten hätten auch gewusst, dass die ihnen erteilten Befehle Handlungen betrafen, die ein allgemeines Verbrechen bezweckten. Die Voraussetzungen des Befehlsnotstandes oder Putativnotstandes seien auch unter Zugrundelegung der Einlassungen der Beschuldigten nicht gegeben. Gleichwohl sei der Schuldvorwurf verhältnismäßig gering, ...