Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme des Verwaltungsaktes. Sorgfaltspflicht. Prüfung des Arbeitslosengeld-Bewilligungsbescheides. Leistungsgruppe
Orientierungssatz
Zur Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10) im Hinblick auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der im Arbeitslosengeld-Bewilligungsbescheid aufgeführten Leistungsgruppe.
Tatbestand
Streitig ist die teilweise Aufhebung und Rückforderung von Arbeitslosengeld.
Im Anschluß an ein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma H. C. vom 19.10.1992 bis 30.04.1993 als Verkäuferin war der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 15.06.1993 Arbeitslosengeld gewährt worden (Bruttoarbeitsentgelt 570,-- DM, Leistungsgruppe "A", wöchentlicher Leistungssatz 246,60 DM). Am 05.04.1994 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld. Hierbei teilte sie mit, daß sie seit dem 08.04.1994 verheiratet ist. Seit diesem Zeitpunkt sei eine Änderung der Steuerklasse von I in V eingetreten. Mit Bescheid vom 20.05.1994 bewilligte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Arbeitslosengeld ab dem 05.04.1994 in Höhe von 240,60 DM wöchentlich. Zugrundegelegt wurde ein Bruttoarbeitsentgelt von wöchentlich 600,-- DM und - unverändert - die Leistungsgruppe "A".
Nach erfolgter Anhörung mit Anhörungsschreiben der Beklagten vom 10.02.1995 hob die Beklagte mit Bescheid vom 16.03.1995 die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 08.04.1994 bis 11.02.1995 teilweise auf. Seit der Heirat am 08.04.1994 hätte der Bewilligung die Steuerklasse V zugrundegelegt werden müssen. Tatsächlich sei bis zum 11.02. 1995 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung der Steuerklasse I gewährt worden. Die Überzahlung bezifferte die Beklagte mit 1.906,60 DM und erhob insoweit gleichzeitig eine Erstattungsforderung. Der gegen eine Zahlungsmitteilung der Beklagten vom 07.04.1995 eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.1995 als unzulässig verworfen. Bei der Zahlungsmitteilung der Kasse des Landesarbeitsamts Baden-Württemberg handle es sich um keinen Verwaltungsakt. Soweit der Widerspruch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.03.1995 angesehen werde, müsse er mangels Einhaltung der Widerspruchsfrist ebenfalls als unzulässig verworfen werden. Im hiergegen am 07.06.1995 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) angestrengten ersten Klageverfahren beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.04.1996 die Überprüfung gemäß § 44 SGB X. Der Rechtsstreit wurde daraufhin von den Beteiligten in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Mit Bescheid vom 27.06.1996 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin ab. Die Zahlung des Arbeitslosengeldes in der Zeit vom 08.04.1994 bis 11.02.1995 sei in Höhe zu 1.906,60 DM zu Unrecht erfolgt. Ab dem 08.04.1994 hätte sich die Steuerklasse aufgrund der Heirat in die Steuerklasse V geändert. Ab diesem Zeitpunkt habe der Klägerin Arbeitslosengeld nach der der Steuerklasse V zugeordneten Leistungsgruppe "D" zugestanden (§ 111 Arbeitsförderungsgesetz). Nach § 45 SGB X sei der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen gewesen, weil die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Die Klägerin sei bei der Antragstellung durch Aushändigung eines Merkblatts über die Höhe des Arbeitslosengeldes informiert worden. Mit ihrem am 04.07.1996 erhobenen Widerspruch bestritt die Klägerin, ein entsprechendes Merkblatt erhalten zu haben. Auch bei Erhalt eines Merkblatts sei sie nicht verpflichtet gewesen, die im Bewilligungsbescheid enthaltenen allgemeinen Angaben auf ihren Fall zu übertragen. Grobe Fahrlässigkeit könne ihr nicht vorgeworfen werden. Die Zuordnung von Leistungsgruppe und Lohnsteuerklasse hätte von ihr nicht überprüft werden müssen. Im übrigen sei die Leistungshöhe gegenüber der früheren Bewilligung trotz erhöhten Bruttoarbeitsentgelts abgesenkt gewesen, dies habe sie auf die Berücksichtigung der veränderten Steuerklasse zurückführen können. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.1996 zurückgewiesen. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag wies die Beklagte auf eine auf der Rückseite jedes Bewilligungsbescheides aufgeführte Tabelle hin. Daraus ergebe sich, zu welcher Steuerklasse welche Leistungsgruppe gehöre.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.10.1996 erneut Klage beim SG erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, daß ihr die Aushändigung eines Merkblatts nicht erinnerlich ist. Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis liege nicht vor. Sie habe nicht wissen müssen, daß die Änderung in die Steuerklasse V eine Zuordnung zur Leistungsgruppe "D" zur Folge habe, zumal sie die Absenkung der Leistungshöhe im Vergleich zu der früheren Bewilligung habe auf die Veränderung der Steuerklasse zurückführen dürfen. Ihr Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheides sei im übrigen unter Abwägung ...