Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wie-Berufskrankheit. gruppenspezifische Risikoerhöhung. bestimmte Personengruppe. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Exposition. gefährlicher Arbeitsstoff. Riechstörung. Monteur im Trafobau
Leitsatz (amtlich)
Riechstörung eines langjährig als Monteur im Trafobau beschäftigten, der verschiedenen jeweils toxischen, schleimhautreizenden Stoffen ausgesetzt war, ist als Wie-BK gem § 9 Abs 2 SGB 7 bzw § 551 Abs 2 RVO anzuerkennen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. August 2009 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 7. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2007 aufgehoben.
Die Hyposmie des Klägers wird als Wie - Berufskrankheit festgestellt.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage im Hinblick auf die Feststellung der chronischen Rhinitis des Klägers als Listen-Berufskrankheit bzw. als Wie - Berufskrankheit als unzulässig abzuweisen war.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf die Anerkennung einer chronisch-atrophischen Rhinitis und einer Hyposmie als Berufskrankheit (BK) oder als - Wie Berufskrankheit (Wie - BK) streitig.
Der 1950 geborene Kläger arbeitet seit 1970 bei der Firma S. AG im Transformatorenwerk K. als Montierer für flüssigkeitsgekühlte Trafos. Er war und ist dabei im Bereich Montage und Reparatur von Transformatoren eingesetzt. Ende 1996, als die Fertigung von flüssigkeitsgekühlten Transformatoren nach Portugal verlagert wurde, wurde der Kläger im Trockentrafobau bei der Umspannungswicklung eingesetzt. Bei der Montage und der Reparatur von flüssigkeitsgekühlten Transformatoren hatte der Kläger Kontakt mit Clophen T 64 N; hierbei handelt es sich um ein Gemisch aus chloriertem Diphenyl und Trichlorbenzol. Mit diesem zur Kühlung der Netztransformatoren eingesetzten Gemisch hatte der Kläger Umgang von 1970 bis Ende 1983 bzw. bis Ende 1996. Beim Umgang mit diesen Flüssigkeiten bestand auch Hautkontakt; Absauganlagen existierten nicht. Beim Befüllen der Trafos mittels eines Vakuumofens war der Kläger auch den durch die Erwärmung der Trafos am Montageplatz entstehenden Ausdünstungen der Kühlflüssigkeit - im Schnitt etwa 4 Stunden pro Arbeitstag - ausgesetzt. Aktenkundig hatte der Kläger von 1970 bis 1976 auch Umgang mit Transformatorenölen. Die Sicherheitsdatenblätter der verwendeten Transformatorenöle liegen vor. Den halogenisierten Kohlenwasserstoff Methylenchlorid verwendete der Kläger von 1970 bis 1990 zum Reinigen und Entfetten von Werkstücken von Hand und für die Dichtheitsprüfung der Kessel. Diesbezüglich liegen die entsprechenden Sicherheitsdatenblätter vor. Mit Waschbenzin hatte der Kläger Umgang bis 1996; hierbei handelt es sich um ein Kohlenwasserstoffgemisch. Es bestand mit diesem Stoff Hautkontakt; Lösemitteldämpfe wurden nicht abgesaugt. Seit 1996 in der Produktion der Trockentransformatoren hatte der Kläger in geringerem Umfang Umgang mit Waschbenzin; auch hierbei bestand jedoch teilweise Hautkontakt. Von 1970 bis 1996 hatte der Kläger desweiteren durchschnittlich eine halbe Stunde pro Arbeitsschicht Umgang mit dem Eindring-Farbstoff MLC-Penetrat FB-93 TU. Hierbei handelt es sich um einen Farbstoff auf der Basis aliphatischer und aromatischer Kohlenwasserstoffe. Umgang mit Epoxydharzen bestand von 1996 bis Ende 2002, wobei der “Verguss„ unter Luftabsaugung erfolgte. Bei Löt- und Schweißarbeiten, die der Kläger durchschnittlich 2 Stunden pro Woche - nach anderen Angaben von ihm 3 Stunden pro Woche - durchführte, war er den dabei entstehenden, schleimhautreizend wirkenden Stoffen, insbesondere Salzsäure und Aldehyde sowie atemwegsreizenden Crackprodukten des Clophens, der Öle und Lösungsmittel ausgesetzt. Nachdem ursprünglich aufgrund von Angaben der S. AG davon ausgegangen worden war, dass 1,2,4,5-Tetrachlorbenzol zur Reinigung der zu verbindenden Anschlussteile sowie zum Reinigen von Lecks im Kessel der Trafos eingesetzt worden war, ergaben Nachermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Bericht vom 19. März 2004), dass davon auszugehen ist, dass aufgrund der Trafo- und Fertigungsvorschriften, in denen die Verwendung dieses Stoffes nicht beschrieben wurde, dieser Gefahrstoff allenfalls vor 1971, also vor der Einführung von Methylenchlorid zum Einsatz gekommen ist bzw. gar nicht zur Anwendung gekommen ist. Zusammengefasst war die “Expositionssituation„ des Klägers dadurch gekennzeichnet, dass er in unterschiedlicher Frequenz und Intensität von 1970 bis 1996 gegenüber diversen Halogenkohlenwasserstoff-Gemischen (Clophen, Waschbenzinen, Eindring-Farbstoff) ausgesetzt war und darüber hinaus von 1970 bis 1990 Expositionen gegenüber Methylenchlorid und - ab 1997 - in geringerer Konzentration gegenüber Ethanol bestanden hatten. Weiterhin war der Kläger der Einwirkung von Epoxydhar...