Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Voraussetzungen einer Versorgung mit Cannabis gemäß § 31 Abs 6 S 1 SGB 5. keine schwerwiegende Erkrankung bei einem Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen und Tagesmüdigkeit
Leitsatz (amtlich)
Von einer „schwerwiegenden Erkrankung“ im Sinne von § 31 Abs 6 SGB V ist auszugehen, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Dies ist bei einem Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen und Tagesmüdigkeit nicht der Fall.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. April 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 mit einer Tagesdosis von 2,5 g zur Behandlung eines Schlafapnoesyndroms und dessen Folgen streitig.
Der 1972 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten und leidet an einem Schlafapnoe-Syndrom mit Schlafstörungen und Zähneknirschen (Bruxismus).
Am 29. November 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage des von dem behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. unter dem 20. November 2018 ausgefüllten Arztfragebogens die Kostenübernahme für die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 mit einer abendlichen Tagesdosis von 2,5 g. Dr. R. gab an, er wolle dem Kläger wegen eines Schlafapnoesyndroms mit Schlafstörungen und Zähneknirschen zur Verbesserung der Schlafstörung und der Tagesmüdigkeit Cannabisblüten mit einer abendlichen Tagesdosis von 2,5 Gramm verordnen. Die Erkrankung sei schwerwiegend, da trotz der seit dem Jahr 2014 durchgeführten CPAP (= Continuous Positive Airway Pressure)-Therapie Tagesmüdigkeit bestehe. Weitere Erkrankungen bestünden nicht. Auch nehme der Kläger keine weiteren Medikamente ein. Die CPAP-Therapie sei nicht ausreichend, da weiterhin Tagesmüdigkeit bestehe. Bei einem Eigenversuch mit Cannabis habe sich diese wesentlich gebessert. Alternative Behandlungsoptionen gebe es nicht. Zur weiteren Begründung fügte Dr. R. zahlreiche Unterlagen aus dem Internet zu dem Thema Cannabisgebrauch bei obstruktiver Schlafapnoe bei (Bl. 1-30 der Verwaltungsakte ≪VA≫). Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des Dr. S. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 5. Dezember 2018 ein, der ausführte, es lägen keinerlei Arztberichte, z.B. von dem behandelnden Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie Dr. W., oder Schlaflaborbefunde mit polysomnographischen Auswertungen bzw. Befundberichte vor. Im vorliegenden Fall könne zwar von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden, obschon den vorgelegten Unterlagen keine Qualifizierungen (z.B. Atempausen von mehr als zehn Sekunden) zu entnehmen seien. Es handle sich aber nicht um eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation. Aus der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörung - Schlafbezogene Atmungsstörungen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)“ [im Folgenden: S3-Leitlinie]“ lasse sich nicht ableiten, dass bei nicht zufriedenstellenden Therapieerfolgen mit CPAP keine weiteren, anerkannten Therapiemethoden mehr zur Verfügung stünden. So gäbe es neben der Gewichtsreduktion auch Therapieverfahren mit Unterkieferprotrusionsschienen und Maßnahmen zur Vermeidung des Schlafes in Rückenlage sowie chirurgische Therapieverfahren. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 2018 die Übernahme der Kosten für cannabishaltige Arzneimittel ab.
Mit seinem hiergegen am 11. Januar 2019 eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, die wesentliche Erkrankung sei vorliegend das Schlafapnoesyndrom. Zwar werde diese mit einer CPAP-Versorgung therapiert und pneumologisch scheine eine ordentliche Einstellung vorzuliegen. Allerdings bestehe ein sehr unruhiger Schlaf, so dass er sich ständig hin- und herwälze. Zudem habe er ein Druck- und Engegefühl mit der Maske, so dass er die Maske ständig auswechsle. Es komme immer wieder zu Anpassungsschwierigkeiten, Entzündungen und krankhaften Zuständen. Trotz der CPAP-Versorgung bestehe ständig Tagesmüdigkeit, da der Schlaf nicht erholsam sei. Er wache morgens völlig übermüdet auf und das Gesicht sei stark angeschwollen. Das Schlafapnoesyndrom sei vorliegend als besonders schwere Erkrankung zu klassifizieren. Die CPAP-Versorgung sei zwar pneumologisch „schon in Ordnung“, führe aber nicht zu einem besseren Schlafverhalten und einem erholsameren Schlaf. Alle Therapieversuche hätten nichts gebracht. Bisher eingenommene Opiate und Schlafmittel hätten zu Nebenwirkungen geführt. Die Verwendung von Cannabisblüten habe hingegen zu einem erholsamen und ruhigen Schlaf geführt und eine Tagesmüdigkeit h...