Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Antrag auf Pflegegeld. allgemeine Leistungsvoraussetzung nach § 33 Abs 1 S 1 SGB 11. fehlende Mitgliedschaft. in Polen lebende, früher in Deutschland Pflichtversicherte. Doppelbezug von deutscher und polnischer Altersrente. keine freiwillige Weiterversicherung. keine Versicherungspflicht nach EU-Recht
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Doppelbezug von deutscher und polnischer Altersrente entfällt der deutsche Krankenversicherungsschutz und damit auch Pflegeversicherungsschutz für eine in Polen lebende, früher in Deutschland Pflichtversicherte, wenn - wie hier - keine freiwillige Weiterversicherung bestand. Aus den Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts folgt keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. März 2022 wird zurückgewiesen
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die in Polen lebende Klägerin Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung hat.
Die 1957 geborene und in Polen wohnhafte Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Nachdem sie zunächst ab Oktober 1976 in Polen beschäftigt war, war sie ab Juli 2010 in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) als 24-Stunden-Pflegekraft versicherungspflichtig beschäftigt, für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 entrichtete sie freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung; wegen der Beschäftigungszeiten im Einzelnen wird auf den Versicherungsverlauf der Anlage Seite 2/3 zum Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung (DRV) B1 vom 28. Dezember 2021 (Bl. 61 f. der Akte des Sozialgerichts Stuttgart [SG] S 10 P 4150/21) Bezug genommen. In der Zeit vom 1. Juli 2010 bis 30. April 2013 war die Klägerin mit Unterbrechungen Mitglied der Beklagten; wegen der Mitgliedschaftszeiten im Einzelnen wird auf die Mitgliedsbescheinigung vom 3. April 2017 (Bl. 70 der Verwaltungsakte/Akte des Sozialgerichts Karlsruhe S 14 P 921/21) Bezug genommen.
Bereits im Januar 2013 erlitt die Klägerin einen linkszerebralen Infarkt und bezog zunächst Krankengeld von der Krankenkasse der Beklagten. Im März 2013 kehrte die Klägerin nach Polen zurück und hat seither dort ihren alleinigen Wohnsitz. Die DRV B1 gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 10. März 2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Mai 2013 auf Dauer, mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 ab dem 1. Dezember 2020 Altersrente für langjährig Versicherte. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden aus den Renten der Klägerin nicht entrichtet. Die Bescheide enthielten unter der Überschrift „Berechnung der Rente“ den Hinweis: „Es ist davon auszugehen, dass Sie in Ihrem Wohnstaat gesetzlich krankenversichert sind. Deshalb wird kein Beitrag zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung aus der Rente einbehalten. Sollte sich unsere Annahme als unrichtig herausstellen, werden wir prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft in der deutschen Krankenversicherung der Rentner und der sozialen Pflegeversicherung vorliegen. Gegebenenfalls werden wir die Rentenzahlung rückwirkend berichtigen, Ihren Beitragsanteil zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung aus der Rente einbehalten und zusammen mit unserem Beitragsanteil an die gesetzliche deutsche Krankenversicherung weiterleiten. Dadurch entstehende Überzahlungen werden zurückgefordert.“ Mit Schreiben vom 23. April 2015 teilte die DRV B1 der Klägerin mit, von der deutschen Rente würden keine Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten, da sie in Polen krankenversichert sei. Pflegeleistungen würden durch den deutschen Rentenversicherungsträger nicht gezahlt.
Mit Bescheiden vom 10. Juli 2013, 27. August 2014, 19. August 2020 und 10. Juni 2021 gewährte der polnische Träger S1 (ZUS) der Klägerin zunächst ab dem 1. Mai 2013 auf Dauer Rente wegen vollständiger Arbeitsunfähigkeit, ab dem 1. Juli 2020 Altersrente (Bl. 209 ff. der Akte des Sozialgerichts Karlsruhe S 14 P 921/21 -).
Am 1. Oktober 2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf „Leistungen aus der Pflegeversicherung“.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung ab. Wegen fehlender Mitgliedschaft bei der Beklagten könne die Klägerin keine Leistungen erhalten. Es werde ihr empfohlen, sich an ihre zuständige Pflege- bzw. Krankenkasse zu wenden. Der Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Auf den am 21. Februar 2020 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch der Klägerin, erläuterte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 15. April 2020, der Pflegeantrag sei abgelehnt worden, weil die Klägerin nicht Mitglied der Beklagten sei. Wegen der fehlenden Mitgliedschaft könne eine Bearbeitung nicht erfolgen; die Klägerin möge ihre Antragsunterlagen bei ihrer zuständigen Kranken...