Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragserfordernis. Ausschluss der rückwirkenden Leistungsgewährung für Zeiten vor Antragstellung auch für Folgeanträge. keine Wiedereinsetzung in vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Für einen neuen Bewilligungsabschnitt ist im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende - anders als bei Arbeitslosenhilfe und Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz - ein Folgeantrag erforderlich, der nicht mit Rückwirkung gestellt werden kann. Der ursprünglich gestellte Antrag wirkt nur bis zum Ende der Wirkung der auf diesen Antrag ergangenen Bewilligungsentscheidung (Abgrenzung zu BSG vom 29.1.2001 - B 7 AL 16/00 R = BSGE 87, 262 = SozR 3-4300 § 196 Nr 1 und zu BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R = BSGE 104, 207).
Orientierungssatz
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen, weil es sich bei dem Antragserfordernis nach § 37 Abs 1, 2 S 1 SGB 2 nicht um eine gesetzliche Frist iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB 10 handelt.
Tenor
Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Januar 2009 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. bis 28. Januar 2008.
Der 1959 geborene Kläger zu 1, seine 1968 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2 und deren gemeinsame Kinder, die Kläger zu 3 bis 5 (geboren 1993, 1995 und 1998) bewohnen gemeinsam eine Mietwohnung. Seit 2005 beziehen sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nachdem den Klägern zuletzt bis 31. Dezember 2007 Leistungen bewilligt worden waren, stellte der Kläger zu 1 am 29. Januar 2008 einen Weiterbewilligungsantrag. Mit Schreiben vom 4. Februar 2008 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass eine Leistungsgewährung vor dem 29. Januar 2008 nicht in Betracht komme und bewilligte mit Bescheid vom 20. Februar 2008 Leistungen erst ab 29. Januar 2008.
Gegen die Ablehnung vom 4. Februar 2008 wandten sich die Kläger mit Widerspruch vom 11. Februar 2008 und machten geltend, der Kläger zu 1 habe auch den Weitergewährungsantrag für Leistungen ab 1. Juli 2007 erst nachträglich gestellt, gleichwohl seien die Leistungen rückwirkend gewährt worden. Er habe sich daher darauf verlassen können, dass dies auch für den Weitergewährungsantrag für Leistungen ab Januar 2008 gelte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 37 SGB II würden Leistungen grundsätzlich nur auf Antrag und nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Aufgrund der verspäteten Antragstellung im vorausgehenden Bewilligungszeitraum sei der Kläger zu 1 mehrfach darauf hingewiesen worden, dass Anträge rechtzeitig und somit vor Ende des Bewilligungszeitraumes zu stellen seien. Aus der rückwirkenden Leistungsgewährung ab Juli 2007 leite sich kein Rechtsanspruch und kein Vertrauensschutz ab. Eine rückwirkende Leistungsgewährung sei hier nur dadurch möglich gewesen, dass sich der Kläger zu 1 rechtzeitig mündlich vor Ablauf des Bewilligungszeitraumes zum 30. Juni 2007 mit der Sachbearbeiterin telefonisch in Verbindung gesetzt habe und die Weitergewährung der Leistungen ab Juli 2007 beantragt habe. Gerade aufgrund dieses Sachverhaltes sei der Kläger zu 1 ausdrücklich auf die Notwendigkeit des Antragserfordernisses hingewiesen worden.
Hiergegen richtet sich die am 8. Juli 2008 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage. Zur Begründung wird vorgetragen, dass auf die Antragstellung am 17. September 2007 rückwirkend für die Zeit ab 1. Juli 2007 die Leistung bewilligt worden sei, noch mit Bescheid vom 22. August 2007 sei der Kläger darauf aufmerksam gemacht worden, dass er einen Weitergewährungsantrag ab Juli 2007 zu stellen habe. Daher habe sich der Kläger darauf verlassen können, dass nunmehr auch eine rückwirkende Weitergewährung möglich sein werde. An diesem Vertrauenstatbestand müsse sich der Beklagte messen lassen. Auch leide der Kläger zu 1 an einer subjektiven Gedächtnisminderung und Aufmerksamkeitsstörung, die es ihm unmöglich mache, sich auf wichtige Dinge zu konzentrieren. Hierzu hat der Kläger einen Arztbrief des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. vom 8. Februar 2008 vorgelegt.
Mit Urteil vom 29. Januar 2009 hat das SG die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach § 37 SGB II das Datum der Antragstellung für den Beginn der Leistungserbringung maßgeblich sei. Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs komme eine nachträgliche Leistungsgewährung nicht in Betracht. Der Beklagte sei seiner Verpflichtung nachgekommen, den Hilfebedürftigen rechtzeitig auf den erforderlichen Folgeantrag hinzuweisen. Diese Information verliere nicht dadurch ihren Aufklärungscharakter, dass der Beklagte einmalig die Leistung rückwirkend bewilligt habe. Insoweit könne dahinstehen, ...