Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen. Feststellung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt. Vorrang der 4-jährigen Verjährungsfrist. Sonderregelung. zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs. 30-jährige Verjährungsfrist. Fristsetzung zur Zahlung und Mahnung kein Verwaltungsakt
Leitsatz (amtlich)
1. § 50 Abs 4 SGB X trifft eine Sonderregelung für die Verjährung des durch Verwaltungsakt festgesetzten Erstattungsanspruchs im Sinne des § 50 Abs 3 SGB X, die der Verjährungsregelung in § 52 Abs 2 SGB X vorgeht.
2. Wenn zugleich mit der Festsetzung der Erstattungsforderung oder später zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs ergehen, greift aufgrund der Verweisung in § 50 Abs 4 S 3 SGB X die 30-jährige Verjährungsfrist in § 52 Abs 2 SGB X.
3. Weder eine Fristsetzung zur Zahlung noch eine Mahnung besitzen Verwaltungsaktcharakter und stellen damit von vornherein keine Maßnahmen im Sinne des § 52 Abs 1 SGB X zur Durchsetzung festgesetzter Erstattungsansprüche dar.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass unter Aufhebung des Bescheids vom 09.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2019 und des Bescheids vom 19.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2019 festgestellt wird, dass die mit den Erstattungsbescheiden der Beklagten vom 19.08.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.11.2011 geltend gemachten Forderungen verjährt sind.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung in erster Instanz.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, macht die Verjährung zweier gegen sie gerichteter Erstattungsforderungen der Beklagten geltend.
Mit 2 Bescheiden vom 19.08.2011 nahm die Beklagte 2 Bewilligungen über Arbeitsentgeltzuschüsse für Arbeitnehmer der Klägerin zurück und verfügte gegenüber der Klägerin die Erstattung von 2.009,30 € und 2.435,29 €. Mit 2 Widerspruchsbescheiden vom 04.11.2011 wies die Beklagte die hiergegen eingelegten Widersprüche der Klägerin als unbegründet zurück. Klage hiergegen wurde nicht erhoben. Weitere (Vollstreckung-)Maßnahmen der Beklagten unterblieben in der Folgezeit.
Mit Schreiben vom 14.12.2011 mahnte die Beklagte den aufgrund der Erstattungsbescheide noch offenen Betrag von 4.444,59 € an und setzte Mahngebühren in Höhe von 22,50 € fest. Mit Schreiben vom 10.10.2017 und mit weiterem Schreiben vom 09.01.2018 mahnte die Beklagte jeweils einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.467,09 € (bestehend aus den beiden Forderungen aus den aufgehobenen Arbeitsentgeltzuschüssen in Höhe von 4.444,59 € zuzüglich Mahngebühren von 22,50 €) an.
Mit Schriftsatz vom 30.01.2018 erhob die Klägerin die Einrede der Verjährung unter Verweis auf § 50 Abs. 4 SGB X. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide seien spätestens im Dezember 2011 bestandskräftig geworden. Damit habe zum 01.01.2012 die 4-jährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen und sei Verjährung somit mit Ablauf des 31.12.2015, bei Bestandskraft erst im Jahre 2012 jedenfalls mit Ablauf des 31.12.2016, eingetreten. Vorsorglich werde auch Verwirkung eingewendet.
Unter dem 09.02.2018 teilte die Beklagte mit, öffentlich-rechtliche Forderungen würden durch Bescheide begründet. Sei ein Bescheid unanfechtbar geworden, so betrage die Verjährungsfrist in der Regel 30 Jahre. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 19.08.2011 seien unanfechtbar, daher sei keine Verjährung eingetreten.
In ihrem Schriftsatz vom 02.03.2018 hielt die Klägerin an ihrer Auffassung, wonach die Erstattungsforderungen verjährt seien, fest und beantragte, die Zwangsvollstreckung aus den Erstattungsbescheiden einzustellen sowie die Feststellung, dass die mit den Erstattungsbescheiden vom 19.08.2011 geltend gemachten Forderungen wegen Verjährung erloschen seien.
Mit Schreiben vom 16.08.2018 teilte die Beklagte mit, sie verweise insbesondere auf ihr Schreiben vom 09.02.2018. Eine Verbescheidung des Antrags werde nicht erfolgen.
Daraufhin erhob die Klägerin eine, durch Klagerücknahme mittlerweile erledigte, Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Mannheim (SG, dortiges Az. S 7 AL 2400/18). Mit Aufklärungsverfügung vom 29.11.2018 wies das SG darauf hin, dass bereits das Schreiben vom 09.02.2018 alle Merkmale eines Verwaltungsakts enthalten dürfte. Allerdings habe die Klägerin am 02.03.2018 einen erneuten Feststellungsantrag, gegebenenfalls Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, gestellt. Eine Verbescheidung dieses zeitlich nach der Entscheidung der Beklagten gestellten Antrags scheine nicht erfolgt zu sein.
Die Klägerin hat daraufhin am 07.02.2019 vorsorglich Widerspruch gegen das Schreiben vom 09.02.2018 eingelegt, welchen die Beklagte mit ...