Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Ermittlung und Bewertung von Praxisbesonderheiten. Anwendbarkeit von Filterverfahren und Notwendigkeit intellektueller Prüfungen
Leitsatz (amtlich)
Die Prüfgremien dürfen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung (Arzneimittelregress) zur Ermittlung und Bewertung von Praxisbesonderheiten rechnergestützte, auf statistischen und medizinisch-pharmakologischen Grundsätzen beruhende Filterverfahren anwenden. Sie müssen aber jeweils eine abschließende (intellektuelle) Prüfung durchführen, die die Ergebnisse des Filterverfahrens und außerdem die vom Arzt im Zuge seiner (gesteigerten) Mitwirkungspflicht hinreichend substantiiert geltend gemachten oder sonst - außerhalb des Filterverfahrens - erkennbaren Praxisbesonderheiten zum Gegenstand hat.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.07.2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 8.768,48 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung eines im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung (Richtgrößenprüfung) verfügten Arzneimittelregresses (Jahr 2007).
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis), der im Jahr 2007 die HNO-Ärzte Dr. M. und Dres. E. K. und S. G. angehören. Sie nimmt (seit Februar 2006) mit Vertragsarztsitz in R. an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die (für die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen zuständige) Prüfungsstelle (der G. P. B.-W.) leitete bei der Klägerin für das Jahr 2007 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung (Richtgrößenprüfung) ein. Mit Schreiben vom 06.10.2009 teilte sie der Klägerin mit, bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 15 % sei von Amts wegen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen. Bei dieser Prüfung handele es sich um eine Auffälligkeitsprüfung für den Zeitraum eines Kalenderjahres auf der Grundlage der Arzneimittel-Richtgrößenvereinbarung 2007. Man habe im Rahmen der Vorabprüfung ermittelt, dass das Arzneimittelverordnungsvolumen der Klägerin im Kalenderjahr 2007 das individuelle Richtgrößenvolumen um mehr als 15 % (um 88,47 %) übersteige, was auf Grund der vorliegenden Daten ersichtlich nicht in vollem Umfang auf Praxisbesonderheiten beruhe. Die Klägerin erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme. Dem Anhörungsschreiben waren zur näheren Erläuterung Anlagen beigefügt (u.a. Anlage 1 Verordnungsstatistik Arzneimittel nach Richtgrößen; Anlage 3 zur Anwendung des Filters 6a des von den Prüfgremien zur Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten angewandten Filterverfahrens). Außerdem war eine CD-ROM beigefügt mit dem Hinweis, die berücksichtigten Wirkstoffe seien in der Aggregatliste und in der Rezeptpatientenliste nach Kosten entsprechend gekennzeichnet.
Mit Schreiben vom 21.10.2009 trug die Klägerin vor, ihre Praxis bestehe seit Februar 2006; das Jahr 2007 stelle das erste vollwertige Abrechnungsjahr dar. Bei ihr lägen Praxisbesonderheiten vor. So würden im Rahmen der belegärztlichen Tätigkeit an der Stadtklinik B.-B. (8 Belegbetten) überdurchschnittlich viele Operationen, vor allem im mittleren, aber auch im hohen Schwierigkeitsbereich, durchgeführt. Für die Vor- und Nachbehandlung der Patienten würden in erhöhtem Maße entsprechende Arzneimittel benötigt. Weitere Praxisbesonderheiten bestünden im Bereich der Allergologie (höherer Anteil an Patienten mit Hyposensibilisierungsbehandlung; hierfür allergologische ≪Zusatz-≫Qualifikation) und der Otoneurologie (Behandlung von Patienten mit Tinnitus bzw. Hörsturz); bei der Tinnitus- bzw. Hörsturzbehandlung gebe es auch kompensatorische Einsparungen durch die Vermeidung stationärer Infusionsbehandlungen.
Mit Bescheid vom 16.12.2009 setzte die Prüfungsstelle für das Jahr 2007 einen Regressbetrag i.H.v. 10.392,00 € fest; ein nach Maßgabe des § 106 Abs. 5a Satz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unterbreitetes Vergleichsangebot lehnte die Klägerin ab. Zur Begründung führte die Prüfungsstelle aus, man habe die Verordnungsweise der Klägerin aufgrund der Überschreitung des Richtgrößenvolumens geprüft. Für den Verordnungszeitraum 2007 seien vorab die festgestellten Kosten für prüfgruppenübergreifende bzw. prüfungsspezifische wirkstoffbezogene Praxisbesonderheiten (PB-Wirkstoffe) für verschiedene Wirkstoffe von dem Verordnungsvolumen abgezogen worden. Darüber hinaus habe man ebenfalls vorab prüfgruppenspezifisch die indikationsbezogenen Praxisbesonderheiten (PB-Indikationen) berücksichtigt. Nach Abzug dieser Kostenanteile überschreite das praxisindividuelle Verordnungsvolumen der Klägerin das individuelle Richtgrößenvolumen um 88,47 %. Deswegen habe man eine Richtgrößenprüfung der Arzneimittelverordnungsweise eingeleitet. Dabei sei auch zu prüfen, inwieweit Praxisbesonderheiten die Überschreitung des Richtgrößenvolumens rec...