Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung. Ungeeignetheit des Arbeitsplatzes. gesundheitsschädigende Einwirkungen. behinderungsbedingte Arbeitsplatzgefährdung. körperliche Beeinträchtigung. geringes Arbeitstempo. Möglichkeit anderer Ursachen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die den Anspruch auf Gleichstellung mit einem Behinderten nach § 2 Abs 3 SGB 9 ausschließende Ungeeignet eines konkreten Arbeitsplatzes liegt vor, wenn behinderungsbedingt unverzichtbare Tätigkeiten am Arbeitsplatz nicht ausgeübt oder solche Tätigkeiten nur unter Inkaufnahme sofort oder sicher deswegen künftig auftretender gesundheitsschädlicher Folgen noch verrichtet werden können.

2. Von den Arbeitsplatzbedingungen verursachte Einwirkungen, die zu Erkrankung führen, machen den Arbeitsplatz noch nicht ungeeignet. Erst wenn die Arbeitsplatzverhältnisse eine substantielle Verschlechterung der Erkrankung bzw Ausweitung der Behinderung bedingen oder eine solche sicher erwarten lassen, ist der Arbeitsplatz ungeeignet und wird der Schutzzweck der Gleichstellung an dem konkret innehabenden Arbeitsplatz verfehlt.

 

Orientierungssatz

Eine behinderungsbedingte Arbeitsplatzgefährdung liegt bei einem grundsätzlich gesundheitlich geeigneten Arbeitsplatz nicht vor, wenn körperliche Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers nicht zwingend die Ursache für ein herabgesetztes Arbeitstempo, sondern allenfalls mögliche Ursache neben auch anderen denkbaren Möglichkeiten (wie individuelles handwerkliches Geschick, nur hinreichendes Organisationsvermögen oder nur hinreichend konkretes Arbeitsplatzengagement) sind.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.10.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.

Der Kläger, geboren 1957, ist seit dem 01.01.1992 als Servicetechniker im Außendienst bei der Firma S. GmbH beschäftigt. In diesem Zusammenhang muss er mit einem Kundendienstfahrzeug die Kunden des Unternehmens aufsuchen und dort Wartungen bzw. Reparaturen an Gabelstaplern der Marke S. vornehmen.

Einen früheren Gleichstellungsantrag vom 17.12.2009 (Blatt 12 des vorderen Teils der Beklagtenakte) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.01.2010 ab (Blatt 16 des vorderen Teils der Beklagtenakte), da dem Kläger bisher nur ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Arthrose, Bluthochdruck und Hämorrhoiden zuerkannt war (dazu vgl. Blatt 6/7 des vorderen Teils der Beklagtenakte).

Am 27.01.2010 (Eingang bei der Beklagten; unterzeichnet vom Kläger am 17.01.2010) stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gleichstellung (Blatt 1/5 des vorderen Teils der Beklagtenakte). Hierzu gab er an, das Arbeitsverhältnis sei ausschließlich aus anderen, nicht behinderungsbedingten Gründen (“Auftragsmangel„) gefährdet; der Arbeitgeber habe eine Kündigung nicht angedroht. Er begehre, wegen gesundheitlicher Einschränkungen gleichgestellt zu werden.

Nachdem das Landratsamt S.-B.-Kreis mit Bescheid vom 03.02.2010 einen GdB von 30 seit 22.12.2009 wegen Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Knorpelschäden am rechten Kniegelenk, Bluthochdruck, Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Arthrose, Hämorrhoiden und depressive Verstimmung zuerkannt hatte (Blatt 18/19 des vorderen Teils der Beklagtenakte) und der Kläger dies der Beklagten am 08.02.2010 mitgeteilt hatte (Blatt 17 des vorderen Teils der Beklagtenakte), befragte die Beklagte den Arbeitgeber und dessen Betriebsrat. Der Arbeitgeber - bei dem eine Schwerbehindertenvertretung nicht besteht - erklärte mit Stellungnahme vom 18.02.2010 (Blatt 22/24 des vorderen Teils der Beklagtenakte), dass ihm die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers nicht bekannt seien und der derzeitige Arbeitsplatz aus seiner Sicht auch nicht behinderungsgerecht gestaltet sei. Eine Verbesserung könne auch nicht durch technische Hilfe erreicht werden, da der Kläger an wechselnden Einsatzorten bei verschiedenen Kunden eingesetzt werde. Auf die Frage, ob der Arbeitsplatz aufgrund der Behinderung gefährdet sei, gab der Arbeitgeber an, dass dies der Fall sei in Abhängigkeit von der Behinderung. Aus sonstigen Gründen sei der Arbeitsplatz nicht gefährdet. Der Betriebsrat teilte in seiner Stellungnahme vom 24.02.2010 (Blatt 25/26 des vorderen Teils der Beklagtenakte) mit, dass auch ihm gesundheitliche Einschränkungen des Klägers nicht bekannt seien. Er gehe aber davon aus, dass es sich um die Knieverletzung des Klägers handele. Der Arbeitsplatz sei aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen gefährdet, wenn der Kläger durch seine Behinderung nicht mehr arbeiten könne. Aus sonstigen Gründen sei der Arbeitsplatz nicht gefährdet.

Auf telefonische Nachfrage seitens der Beklag...

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