Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerspruchskosten. erfolgreiches Widerspruchsverfahren. rechtmäßiger Verwaltungsakt. Änderung des Verwaltungsakts aufgrund nachträglicher Änderung der Sachlage. rechtsmissbräuchliches Verhalten. Verzögerung der Mitwirkungsobliegenheit. verspätete Untersuchung. Verantwortungsbereich der Behörde. keine Analogie zu § 193 Abs 1 S 1 SGG im Widerspruchsverfahren
Orientierungssatz
1. Ein Widerspruch ist auch dann iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB 10 erfolgreich, wenn der Verwaltungsakt rechtmäßig war und nur geändert worden ist, weil sich nach seinem Erlass die Sachlage verändert hat (Abgrenzung zu LSG Darmstadt vom 23.9.2016 - L 7 AS 1035/15).
2. Ein rechtsmissbräuchliches oder obliegenheitswidriges Verhalten des Widerspruchsführers liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die verspätete Untersuchung nach Erlass des GdB-Feststellungsbescheids nicht seiner Rechtssphäre zuzurechnen ist.
3. Der Rechtsgedanke des sofortigen Anerkenntnisses nach § 193 Abs 1 S 1 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren kann nicht auf das Widerspruchsverfahren übertragen werden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.07.2018 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch dessen außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung von Kosten eines Widerspruchsverfahrens zusteht.
Bei dem 1972 geborenen Kläger war ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 13.05.2003 festgestellt (Bescheid vom 13.10.2003, Blatt 27(28 der Beklagtenakte; zugrundeliegenden Funktionsbehinderungen: Bronchialasthma, Allergie (GdB 20); chronisches Hautekzem (GdB 20); zur versorgungsärztlichen Stellungnahme vgl. Blatt 26 der Beklagtenakte).
Auf den beim Landratsamt M.-T.-K. (LRA) gestellten Antrag vom 09.07.2016 (Blatt 31/37 der Beklagtenakte) zog das LRA Befundbeschreibungen bei (Blatt 39/56, 62/63, 65/66 der Beklagtenakte). Auf dieser Grundlage schätzte die Versorgungsärztin S. den GdB in ihrer Stellungnahme vom 16.01.2017 (Blatt 68/69 der Beklagtenakte) auf 40 (zugrundeliegenden Funktionsbehinderungen: Bronchialasthma, Allergie (GdB 20); chronisches Kontaktekzem (GdB 20); Bluthochdruck (GdB 10); depressive Verstimmung, Gewebserkrankung des Gehirns, Gebrauchseinschränkung des linken Armes (GdB 30)). Das LRA stellte den GdB nunmehr mit 40 seit 09.07.2016 fest (Bescheid vom 17.01.2017, Blatt 70/71 der Beklagtenakte).
Hiergegen erhob der Kläger am 26.01.2017 (Blatt 75 der Beklagtenakte) Widerspruch und begehrte Akteneinsicht. Diese wurde ihm mit Schreiben des LRA vom 27.01.2017 (Blatt 77 der Beklagtenakte) für 3 Wochen gewährt. Mit am 23.02.2017 eingegangenem Schreiben teilte der Kläger mit, innerhalb von 4 Wochen weitere Ausführungen zu machen (Blatt 78 der Beklagtenakte). Auf die Erinnerung vom 12.04.2017 (Blatt 79 der Beklagtenakte) hin verwies der Kläger mit Schreiben vom 09.05.2017 (Blatt 80/82 der Beklagtenakte) auf eine T2w-hyperintense Läsion im Myelon im Bereich der HWS und eine Behandlung im J. in W. Er legte u.a. Berichte des J. vom 02.02.2017 sowie des Universitätsklinikums H. vom 27.02.2017 vor (dazu Blatt 83/85 der Beklagtenakte), auf den er Bezug nahm. Außerdem machte er eine psychische Erkrankung geltend.
Das LRA zog nunmehr Befundbeschreibungen vom J. (dazu Blatt 89 der Beklagtenakte) und dem Krankenhaus Tauberbischofsheim (dazu Blatt 108/109 der Beklagtenakte) sowie ein Pflegegutachten des MDK vom 05.04.2017 von der AOK (dazu Blatt 91/105 der Beklagtenakte) bei.
Der Versorgungsarzt Dr. B. schätzte in seiner Stellungnahme vom 27.07.2017 (Blatt 111/112 der Beklagtenakte) den GdB nunmehr auf 60 (zugrundeliegenden Funktionsbehinderungen: depressive Verstimmung, Gewebserkrankung des Gehirns, Gebrauchseinschränkung des linken Armes, Gebrauchseinschränkung des linken Beines (GdB 50); Bronchialasthma, Allergie (GdB 20); chronisches Kontaktekzem (GdB 20); Bluthochdruck (GdB 10)).
Mit Abhilfebescheid vom 14.08.2017 (Blatt 114/115 der Beklagtenakte) stellte das LRA den GdB seit 02.02.2017 mit 60 fest und bestimmte, dass die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren im Rahmen des § 63 SGB X nicht erstattet würden. Der Bescheid vom 17.01.2017 sei nicht fehlerhaft gewesen.
Zuletzt war dem Kläger (auf weitere Anträge) mit Bescheid vom 09.10.2018 (Blatt 256/266 der Beklagtenakte) u.a. wegen eines Tumors im Rückenmark (Astrozytom WHO Grad I im Bereich der Hinterstränge links in Höhe des HWK 2-4) ein GdB von 100 seit 23.01.2018 sowie die Merkzeichen „H“, „aG“ und „RF“ zuerkannt worden.
Mit Schreiben vom 24.08.2017 erhob der Kläger gegen die Ablehnung der Kostenerstattung im Abhilfebescheid vom 14.08.2017 Widerspruch (Blatt 119/120 der Beklagtenakte). Der Widerspruch sei erfolgreich...