Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Neufeststellung nach Heilungsbewährung. Entzug der Schwerbehinderteneigenschaft. sozialgerichtliches Verfahren. maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. Anfechtungsklage. Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung. Unzulässigkeit der Erweiterung um eine Verpflichtungsklage. Vorverfahrenspflicht. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Darm- und Leberteilresektion. verbliebene Funktionseinschränkungen
Orientierungssatz
1. Ein auf Feststellung eines höheren GdB gerichtetes Begehren, welches auf nachträgliche Veränderungen nach Erlass eines GdB-Herabsetzungsbescheids gestützt wird, muss grundsätzlich zunächst in einem darauf gerichteten Verwaltungsverfahren verfolgt werden, bevor es im Rahmen einer Verpflichtungsklage zulässigerweise mit einer anhängigen Anfechtungsklage kombiniert werden kann (zu dieser Möglichkeit: vgl BSG vom 27.5.2020 - B 9 SB 67/19 B).
2. Zur GdB-Neufeststellung im Anschluss an den Ablauf der Heilungsbewährung nach Entfernung eines malignen Darmtumors durch eine Darmteilresektion unter Bewertung der verbliebenen Funktionseinschränkungen nach Teil B Nr 10.2.2 und 10.3.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11.12.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung des Grades der Behinderung (GdB) wegen Eintritts einer Heilungsbewährung streitig.
Der 1955 geborene Kläger wurde im September 2011 wegen eines Dickdarmtumors operiert. Ab Oktober 2011 erfolgte die Chemotherapie bis Mai 2012, wobei im Januar 2012 eine operative Entfernung von Lebermetastasen erfolgte.
Am 29.11.2011 stellte er erstmals einen Antrag auf Feststellung eines GdB unter Vorlage eines Befundberichts des R vom 27.10.2011, in dem dieser den dringenden Verdacht auf eine synchrone Lebermetastase bei Karzinom am rektosigmoidalen Übergang, ED 09/2011 äußerte.
Mit Bescheid vom 14.12.2011 stellte der Beklagte seit dem 29.11.2011 einen GdB von 90 aufgrund der „Dickdarmerkrankung (in Heilungsbewährung), Folgeerkrankung“ fest. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von E vom 11.12.2011 zugrunde, der eine Nachprüfung für Februar 2017 empfahl.
Im Februar 2017 leitete der Beklagte das Überprüfungsverfahren ein. Laut dem beigezogenen Befundbericht des R vom 28.03.2017 ergab die abschließende onkologische Untersuchung keinen Hinweis auf weitere Tumormanifestationen nach ursprünglich in die Leber metastasiertem Kolonkarzinom. Der Kläger leide noch immer unter Dysästhesien in den Fußsohlen, insbesondere, wenn bei der Arbeit Sand in die Schuhe gelange.
Mit Anhörungsschreiben vom 15.08.2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei, da nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährung kein Rezidiv und auch kein sonstiger pathologischer Befund vorliege. Ein GdB von mindestens 20 könne nicht mehr festgestellt werden. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von N vom 14.08.2017 zugrunde, wonach der Teilverlust des Dickdarms und der Teilverlust der Leber jeweils keinen Teil-GdB von 10 begründeten.
Nachdem der Kläger auf das Schreiben nicht reagiert hatte, hob der Beklagte den Bescheid vom 14.12.2011 durch Bescheid vom 18.12.2017 nach § 48 SGB X auf und teilte mit, ein GdB von mindestens 20 liege ab dem 21.12.2017 nicht mehr vor.
Gegen den Aufhebungsbescheid legte der Kläger am 09.01.2018 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er nach der Chemotherapie an Polyneuropathien an den Füßen, Parästhesien und Hörstörungen leide. Er sei psychomental verändert seit der Erkrankung. Ein GdB von 50 sei nach wie vor angemessen.
Er legte ein ärztliches Attest des F vom 20.08.2018, einen Zwischenbericht des A vom 17.04.2018, (erneut) den Befundbericht des R vom 28.03.2017 und einen Bericht der L-F vom 04.05.2018 vor.
Der Beklagte holte hierauf einen Befundbericht bei L-F ein, die unter Vorlage eines Tonaudiogramms vom 03.05.2018 mitteilte, bei dem Kläger liege eine seitengleiche Hochtoninnenohrhörminderung vor („re annährend normales, li annährend geringgradige Schwerhörigkeit“), aktuell seien aber keine Hörgeräte indiziert.
In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.09.2018 berücksichtigte K als Funktionsbeeinträchtigungen eine Polyneuropathie sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von jeweils 10. Nicht mit einem GdB zu berücksichtigen seien der Teilverlust des Dickdarms, der Teilverlust der Leber, eine Nierenfunktionseinschränkung, Narbenbeschwerden sowie die Schwerhörigkeit. Eine seelische Störung sei nicht nachgewiesen.
Nach erneuter Anhörung wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2019 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 29.01.2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben und zur...