Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentliche Änderung iS des § 48 SGB 10. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. kostenfreie Vollverpflegung bei Inhaftierung. Zuflussprinzip. Sachbezug. kein Absetzbetrag vom Einkommen. grobe Fahrlässigkeit iS von § 45 SGB 10
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung nach § 48 SGB 10 eingetreten ist, ist nicht auf die letzte Behördenentscheidung, sondern auf die letzte bindend gewordene Behördenentscheidung abzustellen.
2. Dem Sachleistungsbezug durch die Einnahme von Speisen in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) kommt ein Marktwert zu und ist als Einkommen in Form einer Sachleistung mit Geldeswert nach § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen. Der Wert der Sachleistung ist nach § 13 S 1 Nr 1 SGB 2 iVm §§ 2b, 2 Abs 2 S 1, Abs 4 AlgIIV iVm § 1 SachBezV 1995 zu ermitteln.
3. Von dem durch die Vollverpflegung erzielten Einkommen sind keine Beträge, insbesondere auch nicht die Versicherungspauschale in § 11 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 2 und § 3 Abs 1 Nr 1 AlgIIV abzuziehen.
4. Zum (Nicht-)Vorliegen von grober Fahrlässigkeit iS des § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 bzw Nr 3 SGB 10, wenn der Hilfebedürftige mehrfach versucht hat, den Grundsicherungsträger telefonisch von seinem bevorstehenden Haftantritt zu informieren.
Normenkette
SGB II § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3; AlgII-V §§ 2b, 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, § 3 Abs. 1 Nr. 1; SachBezV 1995 § 1; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nrn. 2-3, § 48 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. |
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Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.01.2007 wird zurückgewiesen. |
2. |
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Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. |
3. |
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Die Revision wird zugelassen. |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit.
Der 1969 geborene Kläger erhielt von der Beklagten für die Zeit vom 01.04. bis zum 30.06.2006 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 660,57 Euro. Nach einer zunächst vorgenommenen Kürzung der Regelleistung um 30 % mit Bescheid vom 14.03.2006 gab die Beklagte in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) ein Anerkenntnis ab und bewilligte mit Änderungsbescheid vom 25.04.2006 auch für den Zeitraum vom 01.04. bis zum 30.06.2006 Leistungen wieder in der ursprünglichen Höhe von monatlich 660,57 Euro.
Der Kläger versäumte es, der Beklagten mitzuteilen, dass er für die Zeit vom 25.04. bis zum 13.05.2006 in der Justizvollzugsanstalt S (JVA) inhaftiert war, was er selbst spätestens ab dem 21.04.2006 wusste. Nach dem die Beklagte dies von der JVA erfahren hatte, hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 05.05.2006 zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung an, weil sich durch die Haft der Bedarf des Klägers verringert habe. Es sei beabsichtigt, den zu erstattenden Betrag gegen den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II in Höhe bis zu 30 % der für ihn maßgebenden Regelleistung monatlich aufzurechnen.
Der Kläger teilte hierzu mit, er habe am 21.04.2006 mehrfach vergeblich versucht, die Beklagte telefonisch über den Haftantritt zu informieren. Zudem halte er die Kürzung nicht für angemessen.
Dennoch hob die Beklagte mit Bescheid vom 23.06.2006 die Bewilligung für die Zeit vom 01.04. bis zum 30.04.2006 in Höhe von 69 Euro und für die Zeit vom 01.05. bis zum 31.05.2006 in Höhe von 138 Euro auf. Durch die Haftzeit vom 25.04.2006 bis zum 12.05.2006 habe kein Anspruch auf die Regelleistung nach dem SGB II vorgelegen, wodurch sich ein geringerer Leistungsanspruch errechne. Die Rücknahme der teils fehlerhaften Bewilligung erfolge nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), weil der Kläger durch das Verschweigen seines Haftantritts falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. Die Mitteilung des Haftantritts hätte jederzeit über die Servicecenter-Durchwahl der Beklagten mit Anrufbeantworter sowie auch durch kurzen Brief per Einwurf in den Briefkasten des Jobcenters mitgeteilt werden können. Der Kläger habe auch angegeben, bereits am 21.04.2006 gewusst zu haben, dass er sich in Untersuchungshaft begeben musste, weswegen es ihm durchaus möglich gewesen sei, die Beklagte zu erreichen. Die Aufhebung ergehe nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 Satz Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) als gebundene Entscheidung. Die von dem Kläger erfolgte Überzahlung in Höhe von 207 Euro sei von diesem zu erstatten. Die Erstattung erfolge nach § 43 SGB II durch Verrechnung mit dem aktuellen Leistungsanspruch in monatlichen Raten in Höhe von 103,50 Euro.
Der Kläger begründete seinen Widerspruch damit, dass das SGB II für eine kurze Inhaftierungsdauer wie in seinem Fall an keiner Stelle eine Aufhebung der Bewilligung der Regelleistung vorsehe. Die Zusammensetzung des Rückforderungsbetrages sei zudem für ihn nicht nachvollziehbar. Die ihm zustehende Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterh...